Fangonia (German Edition)
flüchten, all diese Schreckensbilder weit hinter sich lassen. Doch wohin konnte sie rennen? In den Wald? Sie würde sich verirren! Joe, wo war er?
Sie blickte zu dem Baum, an den er sich in der Nacht gelehnt hatte. Er schlief noch zwischen den knorrigen Wurzeln. Wie konnte er bei diesem Krach nur schlafen?
„Joe!“, schrie sie aus Leibeskräften über den Lärm hinweg! „Joe, wach auf, schnell, wir müssen hier weg!“
Sie wollte zu ihm hinrennen, ihn wachrütteln. Doch ein neuer Feuerregen schnitt ihr den Weg ab.
„Joe!“
Joe blinzelte. Wie benommen setzte er sich auf und starrte ungläubig den unheimlichen Schatten an, der durch die schwarze Nacht direkt auf ihn zuflog. Es schien als ob das Feuer die Lichtung in Brand setzen wollte. Hastig sprang er auf, um so schnell wie möglich davon zu laufen. Doch was war das? Er kam nicht vom Fleck! Sein Fuß hatte sich in den knotigen Wurzeln verhakt. Der Schatten kam bedrohlich näher. Joe zog und riss an der klammernden Wurzel. Endlich, sein Fuß kam frei. Er sah Dina und rannte über die Lichtung, so schnell er konnte… Er würde es schaffen. Nur nicht zurückschauen.
Dann packte ihn etwas. Er spürte einen starken Druck auf seinen Schultern, in die sich große, kräftige Krallen stemmten. Dina beobachtete mit Schrecken wie der Schatten ihren Freund wie eine Puppe in die Luft hob und mit ihm in der Dunkelheit verschwand.
Auf der Lichtung herrschte helle Panik. Die Kobolde liefen aufgeregt kreuz und quer umher, doch wie durch einen magischen Zauber wurde niemand verletzt. Eilig klopften sie die Flammen von den verkohlten Stämmen, versuchten ihre Häuser und die Bäume zu retten.
Noch immer schrie jemand. Es war Dina. Sie war dem Schatten hinterher gerannt, bis sie ihn aus den Augen verloren hatte.
Jetzt wurde sie still.
Geschockt von dem, was gerade passiert war, ließ sie sich kraftlos auf den Boden sinken. Entsetzt blickte sie auf die Stelle, von der Joe verschwunden war, bis sie vor ihren Augen verschwamm.
Leise grollend öffnete der graue Himmel seine Tore. Heftiger Regen prasselte herab, löschte die letzten hungrigen Flammen, wusch die Asche weg und mischte sich mit Dinas Tränen.
~ ~ ~
Wie lange Dina so da saß wusste sie nicht. Ihr war alles egal. Sie merkte nicht einmal, dass der Regen sie ganz und gar durchnässte, und dass das Moos unter ihr Wasser zog. Irgendwo rief jemand nach ihr. Sie antwortete nicht. Joe war weg. Das Feuer hatte ihn genommen.
Das Feuer.
So hatten es Muschelstaub und die anderen genannt. Dina wusste sehr wohl, dass dieses Feuer kein gewöhnliches war. Es war ein Drache. Schon in dem Traum hatte sie ihn erkannt. Drachen waren unbesiegbar. Das wusste sie aus den Geschichten. Sie würde Joe nie wieder sehen.
Und das schlimmste war, sie selbst war schuld daran. Sie hatte Joe auf diese Reise mitgenommen. Der Gedanke schnürte ihr die Kehle zu.
„Dina! Hier bist du also.“ Ein zartes Stimmchen wisperte ihr ins Ohr. Es war Gwendolyn. „Komm mit Dina, du kannst hier nicht bleiben. Du bist ja schon ganz nass.“
Dina blickte die Fee nicht an.
„Ich habe gesehen, was passiert ist. Ich weiß, wie du dich fühlst.“
So ein Unsinn, dachte Dina ärgerlich. Woher will die Fee wissen, wie ich mich fühle! Niemand kann das nachempfinden!
„Du denkst, du siehst ihn nie wieder, habe ich recht? Aber das weißt du nicht. Manchmal geschehen Wunder. Komm jetzt erstmal mit.“
Dina biss sich wortlos auf die Lippen. Sie erinnerte sich an ihren Traum. Ja, Gwendolyn konnte tatsächlich erahnen, wie sie sich fühlte. Ihr war es damals ähnlich ergangen. Eigentlich war es gar keine schlechte Idee, Muschelstaub und Gwendolyn zu folgen. Jetzt hatte auch sie einen Grund, zum Feuer zu gehen. Vielleicht war es noch nicht zu spät.
Ja, sie würde Joe suchen… Und ihn retten.
Dina wischte sich mit dem Ärmel die Tränen von der Wange und richtete sich auf. Es hatte aufgehört zu regnen.
„Okay“, sagte sie leise.
Gwen führte Dina zurück zur Lichtung.
„Du hast von dir und Wilbur gesprochen, nicht wahr? Ihr habt euch schließlich auch wieder gesehen.“, fragte Dina.
Die kleine Fee stockte und lief rot an.
„Woher weißt du davon?“
Dina schmunzelte. „Keine Angst, ich verrate euch nicht.“
~ ~ ~
Auf der Lichtung herrschte noch immer reges Treiben. Wild diskutierten die Kobolde über das, was passiert war. Sämtliche Bäume wiesen schwarze Stellen an ihrer Rinde auf, aber keiner war ernsthaft verletzt. Gwen
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