Fangonia (German Edition)
Kindern sehr gut. Sie aßen sich richtig satt.
Wilbur hatte sich zu ihnen gesellt. Wie schon zuvor die Feen, stellte auch er viele Fragen nach ihrer Herkunft und ihrem Volk. Er war ein netter Kobold. Zwar konnte er mindestens ebenso stark fluchen wie seine Freunde, und auch er war immer zu Späßen aufgelegt, doch seine Augen verrieten einen guten Charakter.
„Und was habt ihr jetzt vor?“, fragte er die Kinder. „Wollt ihr auch die Abmachung holen?“
Joe warf Dina einen kurzen Blick zu, dann schüttelte er den Kopf.
„Nein, wir wollten nur mit auf diesen Berg. Vielleicht kannst du uns ja sagen, wo wir einen guten Aussichtspunkt hier oben finden. Wir wollen schauen, ob wir von hier aus das Festland sehen können. Wir müssen allmählich wieder zurück, man wird uns schon suchen!“
„Da habt ihr aber verdammtes Pech!“, meinte Wilbur. „Hier oben gibt es keinen Aussichtspunkt. Hier gibt es nur Bäume, Sträucher und wieder Bäume. Sie versperren einem die Sicht auf das Meer. Das haben wir damals so gewollt. Vor langer Zeit haben wir mal eine schlechte Erfahrung mit dem Meer gemacht. Fragt mich aber bitte nicht danach.“ – Dina wollte gerade nachhaken – „Ich weiß nichts mehr darüber. Wir Kobolde vergessen die Dinge schnell, wenn wir nicht an sie erinnert werden!“
„Wir können das Meer von hier aus nicht sehen?“ Joe sagte es leise, fast mehr zu sich selbst. Er wurde nachdenklich. Er hatte fest damit gerechnet, hier oben das Land sehen zu können. Dann wollte er aus den jungen Bäumen ein neues Boot bauen, zumindest ein Floß, um damit die Insel zu verlassen. Er hatte nicht daran gedacht, dass sein Plan schief laufen könnte. Das hier war seine letzte Idee. Seine einzige Idee.
Mürrisch blickte er die Bäume an. Er mochte sie nicht, das war ihm spätestens nach dem Klammergriff der Birke klar geworden. Jetzt durchkreuzten sie auch noch seinen Plan. Wie die Blätter tuschelten, wisperten, flüsterten, sich gegen ihn verschworen. Sie fanden das ganze bestimmt sehr lustig. Also gut. Morgen würde er mit Dina wieder zurück zum Strand gehen. Irgendetwas würde ihm schon einfallen.
Das Fest wurde lauter, die Kobolde feierten immer ausgelassener. Die Nacht bewegte sich auf ihren Höhepunkt zu. Zwei Kobolde liefen zu Dina, ergriffen ihre Hände und tanzten mit ihr um sämtliche Lagerfeuer. Dina lachte, es machte großen Spaß so wild herum zu tollen.
Schließlich erklang ein langer dunkler Ton aus einer der Flöten. Das Fest war zu Ende. Die Feuer wurden ausgetreten, die Musik erstarb. Überall auf der Lichtung lagen laut schnarchend satte, zufriedene Kobolde. Sie hatten es vor Müdigkeit nicht mehr geschafft, sich in ihre Wurzelkammern zurückzuziehen.
Dina suchte ihre Freunde. Muschelstaub hatte die ganzen Feierstunden mit Knox verbracht. Sie hatten Wichtiges zu besprechen. Da war Joe. Missmutig stocherte er mit einem dürren Zweig in der noch glühenden Asche. Neben ihm lehnte sich Wilbur müde gegen einem Baum. Dina blickte zum Wald. Gwendolyn saß zusammengekauert auf einem Zweig. Vermutlich schlief sie.
Dina entschied sich, wieder zu Joe und Wilbur zu gehen. Sie hatte noch etliche Fragen, die sie dem Kobold stellen wollte. Doch der winkte schläfrig ab. „Von mir erfährst du heute Nacht nichts mehr. Aber du hast Glück. Es ist Neumondnacht. Da sind die Bäume sehr geschwätzig. Wenn du dich an einen Stamm lehnst, und ihm die Frage, die dich am meisten beschäftigt, stellst, erzählt er dir die Antwort in deinen Träumen. Die Bäume wissen alles.“
Damit stand er auf und zog sich zurück in seine Wurzel.
„Ich bin auch müde.“, gähnte Joe. Er zwängte sich zwischen zwei dicke Wurzeln und schloss die Augen.
Dina war noch aufgekratzt vom Fest. Doch auch sie würde jetzt etwas schlafen. Der Morgen war schließlich nicht mehr allzu fern. Ob der Ratschlag von Wilbur tatsächlich funktionierte? Sie wollte es versuchen. Lange suchte sie nach einem möglichst uralten Baum. Je älter er ist, desto mehr weiß er , dachte Dina. Sie entschied sich für eine dicke, knorrige Eiche am Waldrand und lehnte ihren Kopf an die raue, furchige Rinde.
„Bitte, Baum“, flüsterte sie, „erzähl mir, was damals passiert ist, was geschah am Strand von Fangonia, als die Wesen hierher kamen? Wie kam es zu der Abmachung?“
Immer wieder wisperte sie die Fragen dem knotigen Stamm zu, bis das leise, geheimnisvolle Rascheln der Blätter ihr den Schlaf brachte und ihr einen Traum schenkte, der alle
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