Fangschuss
Vorschriften, die nicht immer für vorbehaltlose Begeisterung in der Bevölkerung sorgten.
»Sie haben die Letten-Leiche identifiziert.«
Ruckartig richtete ich mich auf. »Wer ist es?«
»Ein junger Albaner.«
Also nicht Philipp. Gott sei Dank.
»Illegal hier. Deswegen hat ihn auch keiner vermisst. Das heißt: Vermisst wurde er schon. Von seiner Familie. Aber die ist logischerweise nicht zur Polizei gegangen.«
»Und wissen die, was geschehen ist?«
»Nein. Der Junge war ein paar Tage verschwunden, das habe er aber öfter gemacht. Hat ein wenig gedealt und so. Sie wären nicht wirklich besorgt gewesen.«
Mir kam das sehr bekannt vor. »Das reicht kaum für die Titelseite.«
»Hast du etwas für mich?«
Ich dachte an Murat. »Ich war am Tatort. Bevor die Polizei da war.«
»An welchem?«
»Lagerstrasse, oberster Stock.«
José stieß einen leisen Pfiff aus.
»Und?«
»Ich kann dir nichts sagen, noch nicht. Das hängt alles mit meinem Fall zusammen.«
»Mann, komm schon! Mir zuliebe.«
»Ich kann nicht. Sonst geht mein Fall hops und ich womöglich auch. Die ganze Angelegenheit ist längst nicht mehr so kuschelig, wie ich gehofft hatte.«
»Na gut, pass auf dich auf. So schnell finde ich keinen anderen, der ähnlich viele Schümli Pflümlis verträgt wie du.«
»Ich bin gerührt.«
»Weißt du, wer’s getan hat?« Josés Stimme klang plötzlich wieder ernst.
»Ich habe eine starke Vermutung.« Und keine Beweise, fügte ich in Gedanken an, doch José brauchte nicht alles zu wissen. Im Treppenhaus waren Schritte zu vernehmen.
»Das ist alles ziemlich vage und hilft mir nicht ansatzweise weiter.«
Die Schritte hielten vor meiner Wohnungstür an, dann hörte ich ein dumpfes Geräusch. Als ob etwas Schweres hingeworfen worden wäre. Ein mit Pizzateig gefüllter Plastiksack zum Beispiel. Was relativ unwahrscheinlich war. Ich sprang auf, schnappte mir ein Handtuch und wickelte es mir behelfsmäßig um die Hüfte.
»Was ist denn bei dir los?«
»Ich rufe dich zurück, wenn ich mehr Informationen habe«, flüsterte ich.
José knurrte unwillig.
Auf Zehenspitzen hastete ich durch das Wohnzimmer/Büro und blieb hinter der Eingangstür stehen, wo ich mit angehaltenem Atem auf eventuelle Geräusche von der anderen Seite lauschte. Jetzt war alles still. Langsam drehte ich den Schlüssel, öffnete die Tür spaltbreit und spähte hinaus. Der Korridor war leer. Auch das Treppenhaus schien verlassen. Nichts war zu hören. Dann blickte ich zu Boden und hätte beinahe laut aufgeschrien. Zittrig tastete ich nach dem Lichtschalter. Das Bild, das sich mir bot, war grässlich. Der Vorleger war durchtränkt von schwarzem Blut. Er hatte die Ratte einfach auf den Türvorleger geschmissen, der Bauch war aufgeschlitzt, glänzend quollen Gedärme aus seinem Innern. Ihr Mund stand offen und ließ spitze Zähne erkennen, starr und leblos stierte mich ihr eines Auge an. Ich verstand die Botschaft auch ohne beigelegte Grußkarte.
Ich rannte zum Fenster und riss es auf. Ohne große Überraschung entdeckte ich den BMW in Dunkelgrünmetallic, der gerade mal bis zum Ende der Dienerstrasse gekommen war und jetzt mit ungeduldig dröhnendem Motor darauf wartete, dass endlich einer der Fahrer in der endlos auf der Langstrasse vorbeirauschenden Blechlawine Erbarmen zeigte und ihn einbiegen ließ. Ramiz mochte ein brutaler, kleiner Macho sein, aber mit einem brillanten Geist schien er nicht gerade gesegnet. Milde ausgedrückt.
Während ich die Ratte entsorgte, was eine unaussprechlich eklige und umständliche Angelegenheit war, geschah etwas mit mir, was ich wahrscheinlich seit meiner Kindheit nicht mehr erlebt hatte: Ich wurde wütend. Und zwar nicht ein bisschen wütend, wie man es wird, wenn man im Supermarkt eine Ewigkeit angestanden ist und die Kasse genau dann mit einem gleichgültigen Schulterzucken der dicklichen Angestellten geschlossen wird, wenn man dran wäre. Sondern richtig wütend, mit explodierendem Blutdruck, Aussetzen des rationalen Denkvermögens und angeschwollener Halsschlagader. Was auch der Grund war, weshalb ich kurz darauf in Balthasars Laden stand. Zuvor hatte ich meinen Zorn in den Fußabtreter geschrubbt, der aber selbst nach meiner Gewaltbehandlung noch hässliche Blutflecken aufwies, dann versucht, mich mit einem weiteren Glas Amrut zu besänftigen, und als selbst das zu keinem Erfolg geführt hatte, beschlossen, den Racheplan, der schon die ganze Zeit in meinem aufgebrachten Kopf herumgeschwirrt
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