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Fangschuss

Fangschuss

Titel: Fangschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sunil Mann
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schlürfte, trat ein älterer Mann aus einem der Hauseingänge, blickte lange und unverwandt zu mir herüber und ging dann kopfschüttelnd Richtung Bahnhof Enge davon, nicht ohne sich wiederholt nach mir umzuwenden. Offensichtlich hatten mir meine Nerven doch keinen Streich gespielt und die Vorhänge in den oberen Wohnungen sich tatsächlich bewegt. Ich entfernte mich etwas, wechselte die Straßenseite und kam dann wieder zurück, als gäbe es für mich nichts Schöneres, als im strömenden Regen zu lustwandeln. Gerade hatte ich das Bankgebäude wieder erreicht, als die Tür aufgerissen wurde und nur wenige Meter vor mir ein rüstiger Mann mit halblangem grauem Haar heraustrat. Über seinen Schultern hing ein edel aussehender Mantel, bei dem ich auf Kamelhaar tippte, darunter war ein steingrauer Anzug zu erkennen. Der Mann spannte einen Regenschirm auf und wandte sich ungeduldig um, während seine Kieferknochen unablässig malmten. Ich tat, als warte ich darauf, die Straße zu überqueren. Glücklicherweise herrschte gerade etwas Verkehr, sodass meine Camouflage halbwegs glaubwürdig wirkte. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass ein weiterer Mann das Gebäude verließ. Ich erkannte ihn sofort. Das schüttere, rotblonde Haar, die Brille mit dem unsicher schweifenden Blick dahinter, der dünne Schnurrbart, diese herunterhängenden Mundwinkel: Herr Stadelmann. Leicht vorgebeugt, geradezu unterwürfig trippelte er auf den Mann im Kamelhaarmantel zu, der sein Vorgesetzter zu sein schien. Der Direktor der Bank Canis in dem Fall. Dieser schien weder viel Zeit zu haben noch besonders gut gelaunt zu sein, jedenfalls warf er Stadelmann einen herablassenden Blick zu, der nur knapp an Verachtung vorbeischrammte, und marschierte dann beherzt, und ohne sich nochmals umzuwenden, los. Stadelmann dackelte ihm hinterher, den Blick starr auf den Gehsteig gerichtet, als müsste er etwas nachrechnen. Ich beeilte mich, endlich die Straße zu überqueren, und verfolgte die beiden auf der gegenüberliegenden Seite. Für einen kurzen Moment verlor ich sie aus den Augen, als die Straße einen leichten Linksbogen machte. Ich rannte ein paar Meter und entdeckte sie wieder vor mir, die aufrechte, herrische Gestalt des Direktors unter dem Regenschirm und Stadelmanns gebeugte daneben. Sie steuerten geradewegs auf das Restaurant Strozzi’s zu, das mit Stehtischen und frisch zubereiteten Panini lockte und in das man dank der durchgehenden Fensterfront problemlos Einblick hatte. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich jemals über so etwas freuen würde.
    Ich stellte mich an die Tramhaltestelle, zündete eine Zigarette an und beobachtete die beiden, wie sie sich an einen der Tische am Fenster stellten. Eine junge Frau mit weißer Bluse und schwarzem Rock nahm die Bestellung auf, die sie umständlich auf einen kleinen Block kritzelte. Kaum war sie weg, beugte sich der Direktor zu Stadelmann vor, augenscheinlich, um ihn etwas zu fragen, worauf dieser niedergeschlagen den Kopf schüttelte. Der Direktor verharrte reglos, presste die Lippen zusammen, dann richtete er sich ruckartig auf und schien um Beherrschung zu ringen. Stadelmann versuchte offensichtlich, die Situation zu retten, indem er irgendetwas erklärte, jedenfalls redete er länger, wobei sich seine herunterhängenden Arme hoben und senkten wie bei einem Pinguin, der versucht zu fliegen. Der Direktor hörte wie versteinert zu, und als Stadelmann geendet hatte, starrte er lange und nachdenklich auf die Tischplatte. Stadelmann schrumpfte noch mehr zusammen, und plötzlich ahnte ich, wieso seine Frau in einem derart verächtlichen Ton von ihm gesprochen hatte. Es war offensichtlich, dass er nie Direktor der Bank werden würde, dazu fehlten ihm Schneid und Ehrgeiz. Wahrscheinlich war er auch nur Vize geworden, weil er im Verlauf der Jahre einfach nachgerückt war. Dass seine Frau mehr von ihm erwartete, war hingegen eindeutig. Ihre beinahe aristokratische Haltung, die beherrschten Gefühle, die Betonung ihres Mädchennamens. Ihre Ambitionen gingen weit über seine Möglichkeiten hinaus. Er schien auch überhaupt nicht zu den Dschungelbuch-Mitarbeiterinnen zu passen, die ich vorhin gesehen hatte. Ich konnte mir gut vorstellen, dass sie sich hinter seinem Rücken über ihn lustig machten. Ich betrachtete ihn eingehend. Seine Finger klebten nervös zuckend am Tisch, während der Direktor mit schlecht unterdrückter Wut einen Espresso hinunterstürzte. Der Druck, der seit Jahren auf Stadelmann lastete, war

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