Fantasien der Nacht
Hand auf seine. „Er irrt sich, Daniel. Eric ist der sanftmütigste Mann, den ich je kennengelernt habe. Ich möchte“, sie atmete tief ein und sprach weiter, „ich möchte, dass du dich mit ihm triffst. Mit ihm redest. Ich will, dass du siehst, dass er nicht das ist, wofür du ihn hältst.“
Er nickte. „Ich dachte mir schon, dass du mir diesen Vorschlag unterbreiten würdest, und ich schätze, ich sollte es tun. Es macht mir nichts aus, dir zu sagen, dass ich Angst vor ihm habe, Tam. Obgleich der Wissenschaftler in mir das Ganze sehr aufregend findet. So nah heranzukommen …“
Wieder nickte er und fuhr fort: „Der Großteil in mir weiß, dass das unvermeidlich ist. Ich werde mein Bestes tun, um Frieden mit ihm zu schließen, Tam. Ich habe mir die Angelegenheit eine Million Mal durch den Kopf gehen lassen, die ganze Nacht lang. Es läuft alles auf das eine hinaus.“ Er streckte die Hand aus und hielt ihr Gesicht darin. „Ich will dich nicht verlieren.“
Langsam schloss er die Augen. „Dich in mein Haus zu holen, in mein Leben, hat alles für mich geändert, Tamara. Davor war ich …“ Er öffnete die Augen, und sie war überrascht, Tränen darin zu sehen. Er schüttelte den Kopf.
„Sprich weiter. Was warst du?“
„Ein anderer Mann. Ein Mistkerl, Tamara. Ein größeres Monster, als Marquand es je sein könnte. Und das tut mir leid … mehr leid, als du jemals begreifen wirst.“
Tamara schüttelte den Kopf, nicht sicher, was sie darauf erwidern sollte. Sie hatte das Gefühl, dass dies der ehrlichste Moment war, den sie jemals miteinander geteilt hatten.
Sie trank ihren Kaffee aus und ging ins Bett. Daniel weckte sie nicht. Stattdessen wurde sie vom Läuten des Telefons aus dem Schlaf gerissen und war schockiert, als sie auf den Wecker schaute und sah, wie spät es war. Sie griff nach dem Telefon, als es von Neuem zu schrillen begann, und fragte sich, warum Daniel nicht selbst an den Apparat ging.
„Tam?“
Als sie die vertraute Stimme hörte, schwand ihre Verwirrung. „Jamey?“ Sie runzelte die Stirn und schaute erneut auf die Uhr. „Warum bist du nicht in der Schule?“
„Ich bin abgehauen. Tam …“ Er seufzte, und es hörte sich zittrig an.
Tamara setzte sich im Bett auf.
„Irgendwas stimmt nicht.“
„Bist du krank?“ Ihre losheulenden Alarmsirenen verbannten ihre Benommenheit schlagartig in die hinterste Ecke ihres Kopfes. „Hast du dich verletzt oder so etwas? Soll ich deine Mom anrufen?“
„Nein. Es ist nichts dergleichen, es ist etwas anderes.“ Ein weiterer zittriger Seufzer. „Ich bin mir nicht sicher, was es ist.“
„In Ordnung, Jamey, beruhige dich. Sag mir einfach, wo du bist und …“
„Ich habe mir ein Taxi genommen. Ich bin in einer Telefonzelle in Byram. Ich will nicht zu dem Haus kommen.“
Zumindest das war wie gewöhnlich. Das weitläufige viktorianische Anwesen hatte Jamey seit jeher eine Gänsehaut verursacht. „Ich bin in zehn Minuten da.“
„Beeil dich, Tam, oder es ist zu spät.“
Lähmende Furcht ließ ihre Stimme leiser werden. „Zu spät für was, Jamey?“
„Ich weiß es nicht! Beeil dich einfach, okay?“
„Okay.“ Sie legte den Hörer mit zitternden Händen auf. Irgendetwas lag hier ganz fürchterlich im Argen. Sie hatte das Entsetzen in Jameys Stimme gehört. Und doch war da neben der Sorge um den Jungen, die ihr schier den Magen umdrehte, auch ein Funken Zorn in ihr. Wer auch immer dafür verantwortlich war, Jamey derart zu ängstigen, würde ihr gegenüber Rechenschaft ablegen müssen.
Sie schlüpfte eilig in Jeans und ein Sweatshirt. Sie streifte Socken, Turnschuhe und dann eine Jacke über. Sie nahm die Bürste aus ihrer Handtasche und fuhr sich damit auf dem Weg die Treppe hinab durchs Haar. Daniel kam gerade aus dem Keller herauf.
„Was ist los, Schatz?“
„Jamey. Wegen irgendetwas ist er vollkommen außer sich. Ich werde mich in der Stadt mit ihm treffen, ihm einen Burger spendieren und mit ihm darüber reden.“ Sie umarmte Daniel flüchtig, steckte ihre Haarbürste in die Tasche zurück und holte ihre Schlüssel hervor.
Fünf Minuten später sammelte sie Jamey ein. Er zerrte an der Beifahrertür ihres Käfers, bevor sie ganz zum Stehen gekommen war. Er stieg ein, blass und mit geweiteten Augen. „Ich glaube, ich drehe durch“, verkündete er.
Ihr erster Impuls bestand darin, ihm zu sagen, dass das Unsinn sei; allerdings hatte sie sich erst vor Kurzem noch genauso gefühlt – zu häufig, um seine Ängste
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