Farben der Liebe
vorbei ist. Wenn sich die Türen doch nur schließen würden, damit ich wieder in mein bisheriges Leben eintauchen kann. Ich kann es kaum erwarten, dass alles in seinen gewohnten Bahnen verläuft. Ich werde Noah vergessen, ihn aus meinem Gedächtnis verbannen. Es gibt nichts, woran ich mich jemals erinnern möchte, absolut gar nichts …
Ich atme tief durch, als sich der Fahrstuhl mit einem Ruck in Bewegung setzt. Verwundert stelle ich fest, dass ich seine Nähe immer noch spüren kann. Ruckartig öffne ich die Augen und blicke entsetzt auf den Spiegel. Noah steht hinter mir. Sein Blick ist starr auf mich gerichtet. Die Strahler an der Decke tauchen ihn in ein merkwürdiges Licht, lassen seine Augen genauso silbern erscheinen, wie die Wände um uns herum. Matt poliertes Metall, dazu die große verspiegelte Fläche, die es schier unmöglich macht, den anderen zu ignorieren.
Noah sagt nichts, aber seine Augen bohren sich tief in mich hinein. Ich erwidere sein Augenspiel ebenso heftig und wünsche mir, dass Blicke wirklich töten könnten. Er würde einfach umfallen und ich wäre der Sieger. Der Sieger eines Spieles, in dem es keine Sieger gibt. Denn dieses Duell wird auf einer anderen Ebene ausgetragen, eine Ebene, die mir fremd ist, die mich mit Angst erfüllt und die Wünsche in mir zum Vorschein bringt, von denen ich nicht wusste, dass sie existieren. Wir stehen auf verschiedenen Seiten und so soll es auch bleiben.
Er ist mir vollkommen egal, seine Anwesenheit ist mir egal, dass, was in seiner Wohnung passiert ist, spielt keine Rolle. Ich kann seinem Blick nicht länger standhalten, senke meinen Kopf und betrachte das Muster des Fußbodens.
Zum Glück dauert die Fahrt nicht mehr lange. Wir haben die Hälfte bereits geschafft.
Ein Poltern lässt mich zusammenfahren, ein merkwürdiges Ruckeln, ein Krächzen … der Fahrstuhl steht, die Lichter flackern und für einen Moment ist es stockdunkel. Dann schaltet sich mit einem brummenden Geräusch eine Notlampe an. Ungläubig starre ich auf die blinkende Anzeige.
Wir hängen irgendwo zwischen der vierten und fünften Etage fest. Panik macht sich in mir breit, als mir klar wird, dass Noah und ich … in diesem engen Raum … keinerlei Fluchtmöglichkeit … und vor allem, wer weiß, wie lange es dauert, bis jemand kommt, um uns zu befreien. Während ich noch dabei bin, das Ausmaß der Situation zu begreifen, hat Noah bereits den Notknopf gedrückt. Dann rutscht er an der Wand nach unten, zieht die Beine dicht an den Körper und sieht mich auffordernd an.
„Das kann noch etwas dauern. Du hast doch nicht etwa Platzangst?“, fragt er leise.
Ich erwidere nichts darauf, lasse mich, möglichst weit weg von ihm, ebenfalls auf den Boden sinken. Meinen Kopf lehne ich an die Wand und betrachte die Muster der Metallplatten. Die Lampe flackert unruhig. Ich hoffe, sie gibt nicht den Geist auf.
Die Stille ist unheimlich, wird nur durch das Ächzen der Drahtseile unterbrochen, die uns und die Kabine davor bewahren, in die Tiefe zu stürzen. Es ist ein alter Fahrstuhl und ich bedauere jetzt noch mehr, nicht die Treppe genommen zu haben. Wie weit könnte ich jetzt schon von ihm entfernt sein? Hätte ich bereits das erste Glas Whiskey in der Hand? Ich schlucke hart, spüre wie ausgetrocknet meine Kehle ist.
„Toni, was habe ich denn gemacht?“
Er klingt verzweifelt und so leise, dass ich mir nicht einmal sicher bin, ob ich ihn überhaupt richtig verstanden habe. Aber ich kann seine Augen spüren, die mich intensiv mustern. Ich möchte ihn anbrüllen, dass es genau das ist, was er macht. Er sieht mich an und verursacht dieses Kribbeln in meinem Körper. Ich kann nicht mehr klar denken, atme tief durch und ignoriere ihn weiterhin. Denn alles in mir schreit danach, auf ihn einzuprügeln, ihn zu verletzen ... So wie er mich verletzt hat, indem er mir meinen Rettungsanker genommen hat. Die Sicherheit, dass alles richtig war, woran ich bisher in meinem Leben geglaubt habe.
Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass er noch einmal auf den Notknopf drückt.
„Nur zur Erinnerung!“, kommentiert er sein Tun und lächelt dabei zögerlich.
Eigentlich dachte ich, dass auf der andern Seite jemand sitzen würde, der sofort auf unseren Alarm reagiert, aber da habe ich wohl zu viel erwartet. In Zukunft werde ich einen großen Bogen um Fahrstühle machen.
„Ich mag Fahrstühle. Wir haben, solange wie ich denken kann, in einem Haus mit Fahrstuhl gewohnt. Das erste Mal, da war ich vielleicht
Weitere Kostenlose Bücher