Farben der Liebe
es mir, dieses letzte Exemplar zu verkaufen.
Das fein gesponnene Baumwoll/Seiden-Gemisch fühlte sich angenehm zwischen meinen Fingern an. Das Licht brach sich auf dem glatten, schimmernden Stoff und brachte Nuancen hervor, die von Tiefdunkelviolett bis Hellfliederfarben reichten. Im flackernden Licht einer Party würde es einfach bombastisch aussehen, was ich allerdings noch nicht gewagt hatte auszuprobieren. Der Schnitt war figurbetont, schmiegte sich wie eine zweite Haut an den Leib und unterstrich die Proportionen mit perfekt platzierten Akzenten und Abnähern. Zudem besaß es einen Stehkragen, der mir als Krawattenverweigerer am besten gefiel. Als ich mich mit dem Hemd vor dem Spiegel drehte und mich begutachtete, fand ich mich so sexy darin, dass ich es gleich meinem Bruder zeigte, mit dem ich mir eine Wohnung teilte. Jan war in schallendes Gelächter ausgefallen und hatte mich mit seinem vernichtenden Urteil ziemlich hart auf den Boden aufknallen lassen.
Seitdem fristet es auf einem lieblosen, schwarzen Plastikbügel ganz am Rand der Kleiderstange hinter den Winterjacken ein vernachlässigtes Dasein.
Ich hätte es wahrscheinlich auch vergessen – irgendwann – wenn nicht ein Kunde genau dieses Hemd gekauft hätte und nun vor mir stand, um es zu bezahlen.
Meine Finger zitterten und hinterließen auf dem feinen Stoff sicherlich Schweißflecken.
Wie konnte man sich nur wegen eines Fetzen Stoffes so aufregen? , schalt ich mich selbst. Nur ein harmloser Fetzen, der im nächsten Winter bereits in Vergessenheit geraten war und da vermutlich auch mir lächerlich und schwul vorkommen würde.
Die Mode wechselte so schnell, dass man oft mit dem Ausmisten und Nachkaufen nicht hinterherkam.
In meinem Schrank gab es nur wenige Stücke, die länger als eine Saison aushielten. Als ich das violettfarbene Hemd gekauft hatte, war ich überzeugt davon, ein weiteres dieser kostbaren Kleinode erstanden zu haben, die ich noch die nächsten Jahre tragen würde. Die Farbe stand mir, sie untermalte meine ozeanblauen Augen, die dunkelbraunen Haare und meinen noch vom Sommer gebräunten Teint. Ich fühlte mich in dieser Farbe wohl, schier unbesiegbar und unwiderstehlich. Ohne etwas von dieser Farbe an mir zu tragen, verließ ich die Wohnung selten. Ein Schal, ein Tuch, das dezent aus meiner Hosentasche hing, ein Lederband, ein Halsband oder der Ohrring mit dem leuchtenden Amethyst, waren ständig an mir zu finden. Ich besaß auch ein paar Hosen und Schuhe in dieser Farbe, die ich allerdings nur in der Arbeit trug oder wenn ich ausging.
Aber dieses Hemd …
Ich riss mich zusammen und sah hoch … geradewegs in die schönsten Augen, die ich je gesehen hatte.
Der Mann, der dieses Hemd gekauft hatte, hielt mir seine Kreditkarte entgegen. Seine Lippen zuckten ungeduldig, weil er mir die Plastikkarte wahrscheinlich schon eine ganze Weile über die Theke entgegenhielt. Doch seine Augen glänzten in einem so dunklen Blau, dass sie in der grellen Boutiquebeleuchtung einen violetten Schimmer angenommen hatten.
Für einen Moment blieb mein Herz stehen. Ich konnte ihn nur anstarren, nur in diese lilafarbenen Augen starren, mich förmlich darin verlieren. Dichte, schwarze Wimpern umrahmten das Violett der Iris und das reine Weiß seiner Augen. Für einen Moment dachte ich auch daran, dass es nur Kontaktlinsen sein konnten, dass ich mich täuschen musste, oder das Hemd, das sich inzwischen längst in der blickdichten Tüte befand, noch immer abstrahlte und seinen Blick in herrlichstem Amethyst tauchte.
Das konnte nicht wahr sein.
„Verzeihung?“, rief sich der Kunde in Erinnerung und hielt mir die Karte noch näher heran.
Zeitgleich erhielt ich einen harten Rempler in die Seite von Jasmin, die an der Nebenkasse abkassierte, und konnte mich endlich aus meiner Starre lösen.
Ich murmelte rasch eine Entschuldigung, riss ihm förmlich die Karte aus der Hand und stopfte sie gefühllos in den Schlitz des Kartenlesers.
War das ein Zeichen? Ein Wink mit dem Zaunpfahl?
Der Kerl, der das letzte Hemd aus der Violett-Kollektion gekauft hatte, sah überaus ansehnlich aus, besaß eine Figur, die sich in dem Kleidungsstück bestimmt noch besser zur Geltung bringen lassen konnte und ein Lächeln, das mich auf Anhieb umwarf. Ich wünschte, ich hätte es in meiner Faszination für die Farbe rechtzeitiger realisieren und ihn mir genauer ansehen können. Erst als er sich verabschiedet hatte und ich auf seinen Rücken und dem federnden Wiegen seines
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