Farben der Liebe
drei oder vier, sind meine Mutter und ich in einem stecken geblieben. Matze lag noch im Kinderwagen …“, er lacht leise und ich kann nichts gegen das Bild machen, das sich in meinem Kopf aufbaut. Matze als Baby! So sehr ich mich bemühe, den Bart kriege ich einfach nicht weg. Dafür war mir bis eben gar nicht klar, dass Noah der ältere Bruder ist. Ich bin irgendwie immer davon ausgegangen, dass Matze es wäre.
„Wir kamen gerade vom Einkaufen. Kurz vor der achten Etage fing er an zu hoppeln und dann rührte er sich nicht mehr. Ich fand es total spannend, aber meine Mutter reagierte ziemlich panisch, drückte wie eine Irre den Notknopf und hämmerte gegen die Tür. Matze schlief, während ich mich auf den Boden setzte und darauf wartete, was passieren würde. Ich war weder ängstlich noch panisch, was vielleicht an meinem Alter lag. Es war eher wie ein Abenteuer für mich, keine Ahnung … Auf jeden Fall wurden wir recht schnell befreit. Meine Mutter meckerte den Hausmeister an, aber ich freute mich, denn er drückte mir einen Schokoriegel in die Hand, weil ich so tapfer war.“
Noah fängt erneut zu lachen an. Ich mag sein Lachen und habe alle Mühe nicht darauf zu reagieren. Aber ich sehe ihn so verdammt deutlich vor mir, wie er den Hausmeister mit seinen grauen Augen ansieht und stolz die Schokolade entgegen nimmt. Ich wünschte, ich würde nur zuhören, weil ich keine andere Wahl habe, denn am liebsten würde ich noch viel mehr von ihm erfahren wollen. Es ist fast, als kann er meine Gedanken lesen, denn er setzt erneut zum Sprechen an.
„Von da an war mein Interesse für Technik geweckt! Ich hoffte bei jeder Fahrt, dass der Fahrstuhl wieder stehen bleiben würde. Aber leider hatte ich erst Jahre später wieder Glück. Wir zogen damals hier her. Das Haus war gerade neu gebaut, der Fahrstuhl glänzte silbern und war technisch auf dem neuesten Stand. Zuerst war ich ziemlich unglücklich, denn meine bereits erworbenen Kenntnisse ließen sich nicht so ohne Weiteres übertragen. Aber es dauerte nur knapp zwei Monate, dann steckte er fest. Ich war zusammen mit ein paar anderen Leuten eingeschlossen, darunter auch ein Mädchen, das sofort zu heulen anfing und kaum von ihrer Mutter getröstet werden konnte. Jemand drückte den Notruf, aber es dauerte eine ganze Weile, bis irgendwer antwortete und dann noch mal mindestens eine Stunde, bis die Techniker kamen. Die Zeiten mit einem Hausmeister waren vorbei, hier wird das Signal an einen Wachdienst übermittelt. Und bis die reagieren, das kann dauern …“
„Wieso erzählst du mir das alles?“, unterbreche ich ihn schroff.
Noah zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung, ich dachte, bevor wir hier nur schweigen … Vielleicht wollte ich dir auch einfach nur zeigen, dass es keinen Grund zur Panik gibt. Irgendwann kommt schon jemand!“
„Panik? Ich habe keine Panik, also kannst du auch einfach den Mund halten“, schnaufe ich verächtlich.
„Schade, ich hätte dir gern noch erzählt, wie ich herausgefunden habe, dass man den Fahrstuhl manipulieren kann. Ziemlich praktisch, wenn man keinen Bock auf Schule hat. Eine bessere Ausrede gab es fast nicht. Okay, zu oft konnte ich das nicht machen, denn leider kam immer der gleiche Techniker und ich glaube, der hat geahnt, dass ich keineswegs jedes Mal zufällig im Fahrstuhl war.“
Jetzt lacht er laut und seine Fröhlichkeit ist ansteckend. Fast bewundere ich ihn dafür, dass er so leicht von dem, was in seiner Wohnung passiert ist und unserer Gefangenschaft im Fahrstuhl wechseln kann. Ich kann nichts dagegen machen, meine Mundwinkel verziehen sich von ganz allein zu einem Schmunzeln.
„Ich habe es gesehen!“, flüstert er prompt. Ich schließe die Augen, spüre, dass von meiner Wut gar nichts mehr übrig ist. Ich will sie wieder haben, will auf ihn wütend sein.
Ich bin nicht schwul. Dieser Satz verliert zwischen den engen silbergrauen Wänden an Bedeutung, löst sich nahezu in Luft auf. Ich will nicht, dass er dieses Kribbeln in meinem Bauch auslöst, und versuche an irgendeine Frau aus meiner Vergangenheit zu denken. Kurz bin ich versucht, mein Smartphone aus der Tasche zu holen. Ich habe die Bilder der letzten Party noch drauf. Wie hieß die heiße Braut, mit der ich aufs Klo verschwunden bin? Sabine oder Carmen? Anna? Spielt doch keine Rolle … wichtig ist nur, dass sie verdammt heiß war. Lange schwarze Haare, feuerrote Lippen und eine ordentliche Oberweite. Der Sex war … Ich kann mich nicht mehr daran
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