Farben der Liebe
mäßig durch die Dosenfrüchte gemildert. Doch der Alkohol dämpfte auch die Wirkung von Toms Worten. Allerdings weniger Rickys latent schlechtes Gewissen.
Egal wie wütend er in dem Moment gewesen war: Das hätte er nicht sagen dürfen. Weder hier vor all den Leuten, noch überhaupt. Es war ihm rausgerutscht, ehe er hatte nachdenken können.
Toms schlechte Laune war ihm unsagbar auf den Geist gegangen und dann tat der immer noch so, als ob nichts wäre. Er konnte doch genau sehen, dass ihn etwas bedrückte und todsicher hing es mit der Sitzung zusammen. Wenn Tom nur endlich mal den Mund aufmachen würde. Warum vertraute er ihm nicht genügend?
Ricky kaute auf einem Stück Ananas herum und starrte auf das Sofa, wo bis vor zehn Minuten noch sein Freund gesessen hatte. Er war gegangen, ohne sich umzusehen, ohne sich zu entschuldigen. Er hatte ihn nicht einmal eines Blickes gewürdigt.
Das Blümchenmuster des Sofabezuges tanzte hin und her und Ricky schloss die Augen, sperrte die Tränen aus. Wenn er heulte, dann würde Tom nur wieder behaupten, er benehme sich wie eine Frau. Weibisch und kindisch.
Schon sein Vater hatte ihm immer wieder vorgeworfen, er würde sich zu wenig männlich benehmen. Er hatte kein Verständnis dafür aufgebracht, dass Ricky glitzernde Dinge sammelte, helle Farben liebte und nur zu gerne auch einen rosafarbenen Tornister wie seine Schwester gehabt hätte. Ricky hatte schon sehr früh gewusst, dass er anders war, und hatte daraus etwas gemacht.
Dann war er eben anders, er war speziell. So war er und entweder man mochte ihn oder eben nicht. Auch dass er schwul war, war für ihn nichts dramatisch Neues gewesen.
Für seinen Vater schon. Seit er ihm erklärt hatte, dass er schwul war, war ihr Verhältnis angespannt. Seine Schwester und Mutter jedoch kamen damit klar. Sie hatten ihn schon immer so genommen, wie er war: bunt, schrill, emotional.
Und Tom?
Er hatte sich fast sofort in ihn verliebt, als der schlaksige Fünfzehnjährige ihm zum ersten Mal in der Drogenberatungsstelle begegnete. Tom hatte ihn fasziniert, seine schroffe Art, sein derberes Auftreten, das gewisse Etwas, was ihn umgab, geheimnisvoll, ein wenig unnahbar. Nur war es damals schon sehr offensichtlich gewesen, dass Tom unsterblich in Alec verliebt war, der mit Ricks Schwester Lisa studierte.
Ricky schürzte die Lippen und schluckte hart. Nun, er war nicht Alec und würde es nie sein. Alec stand todsicher nicht auf Pink oder rosa, der war ruhig und beherrscht und ein toller Zuhörer. Rick mochte ihn sehr gerne, denn er hörte sich auch all seine Probleme an und gab ihm gute Tipps. Er sah toll aus, hatte ein bezauberndes Lächeln und einen winzigen Zug von Melancholie in den Augen. Alec war unbedingt liebenswert. Und tapfer und er hatte Ähnliches erlebt wie Tom ...
Vermutlich war Tom noch immer in Alec verliebt und er nur die Alternative, weil er ihn nicht haben konnte. Warum sonst machte Tom andauernd seine Kleidung schlecht oder beschwerte sich über seine „tuckige“ Art?
Kein echter Kerl? Pah, der würde schon sehen. Es gab genug Männer, die ihn haben wollten, jawohl. Er musste gar nicht mit diesem Ex-Junkie rumhängen, der ihn beleidigte und nie mit der Sprache rausrückte. Wenn er ihm bewies, dass er ganz einfach jemanden aufgabeln konnte ...
Ricky sah sich entschlossen um. Er schwankte leicht, der Alkohol benebelte seine Sicht. Hinnerk … nein, das war zu leicht, der wollte ihn schon lange haben. Zudem hatte Tom Recht: Er roch oft ein wenig ungewaschen. Aber es gab ja genug andere schwule Männer hier.
Der dort hinten? War der nicht mal mit Stefan vom Tanzclub zusammen gewesen? Hatte er ihn nicht neulich noch im Pinkalotta gesehen?
Nun, es war einen Versuch wert. Er würde Tom schon beweisen, wie attraktiv er für andere Männer war. Dann würde der sich entschuldigen und …
Ricky strich sich energisch die Haare zurück, warf einen Blick in die Fensterscheibe, die ihm leider nur unzureichend das Bild eines hübschen jungen Mannes zeigte, und marschierte los.
„Hey!“ Ricky lächelte den jungen Mann an. Der sah nicht schlecht aus: etwas größer, als er selbst, dunkle, halblange Haare, graubraune Augen.
„Ricky, richtig?“ Er sah Ricky von unten nach oben wohlwollend an und ein unverkennbar lüsternes Lächeln hob seine Mundwinkel. „Ich bin der Kevin.“
„Ah, ein namenstechnisches Opfer der Wende?“ Ricky lachte und zwinkerte Kevin zu. Mist, seine Stimme klang ein wenig schleppend. War schon
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