Farben der Schuld
Türen der Kellerverschläge, leuchtet mit der Taschenlampe in Schränke, lässt sich Waschküche und Heizungskeller zeigen. Warnholz bleibt jetzt auf Distanz zu ihr. Weil er ihre Unsicherheit fühlt oder seine eigene verbergen will?
Vielleicht hat Manni recht, vielleicht hütet jeder der Priester sein eigenes dunkles Geheimnis: Röttgen zeugt Kinder, Warnholz vergewaltigt Mädchen. Vielleicht mussten Braunmülller und Röttgen sterben, weil sie hinter Warnholz' Geheimnis gekommen waren. Doch wer hat dann nach Röttgens Tod anonym in der Telefonseelsorge und – wie Meuser inzwischen rekonstruiert hat – mit Warnholz gesprochen? Gibt es einen weiteren priesterlichen Mitwisser, der bereit ist, seine Glaubensbrüder für ihre Sünden zu richten und zugleich dafür zu sorgen, dass sie für immer verstummen, damit die Kirche nicht in Verruf gerät? Es passt nicht, es passt alles nicht, ein Puzzlestein fehlt.
»Tee?«, fragt Warnholz, als sie sich oben in seinem Wohn-und Besprechungszimmer gegenübersitzen. Auf denselben Plätzen wie zuvor, nur dass es diesmal nicht um Judith geht.
Sie betrachtet das Cello des Priesters, während er in die Küche geht, sehnt sich auf einmal nach Musik. Musik war immer so wichtig für sie, Musik hat sie durch ihr Leben begleitet, seit sie Teenager war: LPs, CDs, schließlich ihr iPod. Manfred Mann, Patti Smith, Neil Young, das Jazzduo Friend 'n Fellow, das sie im letzten Sommer neu entdeckte. Seit der Nacht in dem Haus und vor allem, seitdem sie aus dem Krankenhaus entlassen worden war, hat sie ohne Musik gelebt, die Angst, etwas zu überhören, war einfach zu groß: einen Lufthauch, Schritte, das Zischen eines Schlags, das Glucksen von Benzin. Wo man singt, da lass dich ruhig nieder. Böse Menschen kennen keine Lieder. Es wäre schön, wenn die Welt so funktionieren würde. So einfach. So klar.
Sie folgt Warnholz in die Küche. Er füllt Tee in zwei Becher. Hagebuttentee, der nach Jugendherberge riecht. Er wirkt jetzt müde. Bedrückt. Aber vielleicht will sie das nur so sehen.
»Lukas Neubauer«, sagt sie und fragt sich, ob Manni inzwischen dieses zweite Kind Georg Röttgens gefunden hat, das es angeblich gibt. Ob die Mutter von Lukas wirklich nichts mit dem Mord zu tun hat.
»Lukas, ja.« Hartmut Warnholz seufzt. »Ich habe dort hin und wieder nach dem Rechten gesehen.«
»Weil Georg Röttgen das nicht tat.«
»Ja.«
»Und gestern Abend?«
»Ich wollte kondolieren. Ich habe Verena Neubauer versprochen, mich dafür einzusetzen, dass auch weiterhin für sie gesorgt wird, solange Lukas noch klein ist.«
»Wenn sie verschweigt, wer sein Vater ist.«
»Was würde es ändern, Georg Röttgens Fehltritt jetzt noch öffentlich zu machen? Er ist doch tot, jetzt kann ihn nur Gott allein zur Rechenschaft ziehen.«
»Aber Lukas lebt. Und für ihn wäre es sicher besser zu wissen, wer sein Vater ist.«
»Glauben Sie das wirklich?«
»Ein Vater, der nie erwähnt werden darf, der gar kein Vater sein darf, der glaubt, eine schwere Sünde begangen zu haben, indem er ein Kind gezeugt hat. Eine Mutter, die sich womöglich dafür schämt, diesen Vater verführt zu haben. Was folgt denn daraus Ihrer Meinung nach – eine glückliche Kindheit?«
»Verena Neubauer ist eine wunderbare Mutter. Lukas fehlt es an nichts.« Warnholz' Blick gibt nichts preis.
Ich komme nicht weiter, denkt Judith. Ich kann ihn nicht packen und das Mädchen stirbt.
Ihr Handy spielt Queen, das Display zeigt Ralf Meusers Nummer an. Sie reißt es ans Ohr. »Hast du was?«
»Judith, ich …« Ralf Meuser verstummt, stattdessen brüllt Kühn ins Telefon.
»Bist du jetzt völlig übergeschnappt, Krieger? Verweigerst mir einen anständigen Bericht, gehst nicht ans Telefon. Machst wieder mal, was du willst und blockierst meine Leute mit deinen Wahnsinnsideen? Denkst du, der Staatsanwalt lässt einen im letzten Sommer an einem Herzinfarkt verstorbenen Priester exhumieren?«
»Ich will wissen, was die Ursache dieses Herzinfarkts war.«
Kühn schnaubt. »Wie machst du das, dass sie alle nach deiner Pfeife tanzen? Korzilius sagt für dich aus. Der Externe stellt die Ermittlungen ein. Millstätt lässt das zu. Bläst du denen einen, ist es das?«
»Davon träumst du, Kühn, was?«
Sie legt auf. Begreift, was er da gerade preisgegeben hat. Das Blatt hat sich zu seinen Ungunsten gewendet. Sie muss nicht vor Gericht. Es ist vorbei. Nicht schuldig. Einfach so in einem Nebensatz erfährt sie das. Ihre Hände
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