Farben der Schuld
dann? Sie hat noch ein Bier getrunken und ist wieder eingepennt. Sie hat von Fabi geträumt, dass er sie küsst. Wie peinlich, wie unendlich peinlich und wie mies gegenüber Jana. Plock. Plock. Wieder dieses Geräusch. Bat setzt sich auf. Irgendwas in ihrer Erinnerung stimmt nicht, irgendwas war da noch. Sie muss besoffen gewesen sein, so einen Scheiß zu träumen. Sie tappt über den Flur nach nebenan, wo Fabi damit beschäftigt ist, Bücher aus dem Regal in Bananenkartons zu werfen. Wie gut, dass er ihr ihren Traum nicht ansehen kann.
»Bat.« Er greift nach dem nächsten Buch. »Deine Ma hat schon wieder angerufen.«
»Hast du ihr gesagt, dass ich hier bin?«
»Bis du verrückt? Nein.«
Gut, das ist gut. Soll die heilige Ruth noch ein Weilchen schmoren. Bat hockt sich aufs Sofa, nimmt einen langen Schluck aus einer offenen Bierdose und mopst sich eine von Fabians Luckys. Fabi fegt weitere Bücher aus dem Regal. Sie beugt sich vor und betrachtet sie. Alles Bücher von Fabians Mutter, die er nun offenbar nicht mehr haben will.
Selbstheilung, Die Kraft der Edelsteine, Leben mit Krebs, Magie der Engel.
»Hat ihr alles nichts genützt.« Er streckt die Hand aus, und Bat reicht ihm die Lucky. Er nimmt zwei tiefe Züge, gibt ihr die Zigarette zurück und räumt das nächste Regalfach leer, in dem dicht an dicht staubige, uralte Schinken mit Goldprägung stehen. Schiller. Goethe. Shakespeare. Ein Buch nach dem anderen fliegt in den Karton.
Bat legt die Füße auf den Couchtisch. »Meine Mutter hebt auch jeden Scheißdreck auf. Die hat unter ihrem Bett sogar eine Kiste mit sämtlichen blöden Briefen, die mein Vater ihr je geschrieben hat.«
»Dein Vater!« Fabian spuckt das Wort förmlich aus. »Deine Alte ist echt total krass!«
Krass, ja, aber Fabis Mutter war auch nicht viel besser, wenn es um seinen Erzeuger ging, dabei hatte der sich genauso schäbig vom Acker gemacht. Aber daran erinnert sie ihn lieber nicht. Sie streift die Asche in eine leere Bierdose.
»Was hast du vor?«
»Morgen ist Flohmarkt.«
Flohmarkt, ja, Fabi braucht Kohle. Ständig ist er mit der Miete in Verzug, seit er den Job in der Malerwerkstatt nicht mehr hat. Zu viele Fehlzeiten, dann kam das Aus. Dass er einfach nicht mehr arbeiten konnte, wenn erst seine Freundin und dann auch noch seine Mutter stirbt, hatte natürlich niemanden interessiert.
»Du solltest hier einziehen.« Fabi lässt den letzten Goethe in die Kiste plumpsen. »Wir gründen 'ne WG. Du und ich und ein paar von der Gang.«
Er will sie dabeihaben. Er fragt sie jetzt schon zum zweiten Mal. Er mag sie wirklich und es ist ihm völlig egal, wie sie aussieht. Nein, stimmt nicht, er findet sie gut, so wie sie ist. Ihre Mutter wird natürlich nur wieder rumschreien und Kohle für die Miete wird sie ihr auch keine geben, genauso wenig wie ihr toller Herr Vater, der sich sowieso nicht für sie interessiert. Aber sie könnte weiter in der Gärtnerei arbeiten und putzen, und endlich würde sie niemand mehr mit Diäten terrorisieren oder wegen der paar Bier, die sie nun mal gern trinkt oder wegen Penti und dann – Bat beißt sich auf die Unterlippe und mopst sich noch eine Zigarette. Und Jana, was würde sie zu dieser Wohngemeinschaft sagen? Bats Wangen beginnen zu brennen.
Ich liebe ihn, du darfst Fabi nichts von den Treffen mit Lars sagen, hatte Jana sie beschworen. Ich will Fabi doch überraschen. Erst brauch ich den Vertrag. Und Bat hatte mitgespielt, klar, natürlich, Jana war schließlich ihre Freundin. Wenn Fabi fragte, wo Jana gewesen sei, hatte Bat behauptet, sie sei bei ihr gewesen. Auch wenn es ätzend war, dass sie Jana in Wirklichkeit kaum noch sah. Auch wenn es ätzend war, Fabian zu belügen.
Bat springt auf. Lügen, Lügen, überall Lügen. Sie muss das beenden, sie will das nicht mehr. Dein Vater kommt bald zurück, ganz bestimmt, er liebt uns doch, hatte ihre Mutter selbst dann noch behauptet, als er längst schon mit der anderen zusammenlebte. Die glückliche Familie – der Traum ihrer Mutter, doch er war immer hohl, und das Einzige, was Bat von ihrem Vater geblieben ist, ist sein Abschiedsgeschenk: Penthesilea.
Sie geht ins Bad und malt sich Augen und Lippen schwarz.
Sie erschrickt fast ein wenig, weil es so hart aussieht im Kontrast zu ihren kahlrasierten Schläfen. Fabian ist ihr gefolgt und betrachtet sie. Keine Lügen mehr, verspricht sie ihm stumm. Keine Lügen mehr, sondern die Wahrheit. Bald, sehr bald, werde ich dir alles erzählen. Das
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