Farben der Schuld
verspreche ich dir.
Sie schiebt die Finger in die Hosentasche und schließt sie um den 50-Euro-Schein aus der Haushaltskasse ihrer Mutter. Nicht ihre Schuld, dass sie den einfach genommen hat, wenn die ihr ständig das Taschengeld kürzt. Und überhaupt – immer das Getue um die blöde Kohle. Soll die heilige Ruth doch auch irgendwo putzen gehen, statt nur in der Telefonseelsorge rum-zuschleimen und denen beim Arbeitsamt auf die Nerven zu fallen. Bat zieht ihren Ledermantel über und vergewissert sich, dass sie Messer und Pfefferspray einstecken hat.
»Wir sehen uns nachher im Club.«
»Wo gehst du hin?«
»Ich muss noch was erledigen. Erzähl ich dir später.«
Die kalte Abendluft draußen macht sie wieder nüchtern. Sie ist jetzt ganz klar, ganz ruhig und erreicht das Gelände des L-Music-Studios in nur zwanzig Minuten. Es ist ziemlich einsam hier, obwohl es noch gar nicht so spät ist. Beinahe bedrohlich kommt ihr das leer stehende Backsteingebäude gegenüber dem Studio vor. Aber Lars' Protzauto parkt in dem Hof, und oben im zweiten Stock brennt noch Licht.
Bat weicht in den Schatten der alten Fabrik zurück und schaut in den Himmel. Einer der Sterne dort oben ist vielleicht Jana. So war es immer: Jana ist hell und Bat braucht die Dunkelheit. Genau wie die Fledermäuse, denen sie im Sommer so gern auf dem Friedhof zusieht. Bat dreht sich eine Zigarette und starrt zu Lars' Fenster hinauf. Das Licht erlischt, springt dann im Treppenhaus an und gleich darauf betritt er den Hof. Allein, nicht mit einem Mädchen im Arm, wie sie es erwartet hat, latscht er zu seiner Protzkarre und sucht was im Kofferraum.
Nachdem Lars Jana angequatscht hatte, war sie zuerst vollkommen glücklich. Stundenlang hat sie Bat von seiner tollen Erfahrung und seinen tollen Kontakten als Musiker vorgeschwärmt und hat alle Warnungen in den Wind geschlagen. Und dann ging etwas schief, aber Jana wollte auf keinen Fall darüber sprechen. Nicht mit Bat. Nicht mit Fabian. Und dann war sie tot.
Bat starrt den Mann an, der immer noch in seinem Kofferraum rumwühlt. Janas Mörder. Jetzt schlägt ihr Herz doch sehr laut. Aber jetzt kann sie nicht mehr zurück, sie darf nicht kneifen, das hier ist ihre Chance. Für Jana. Für Fabi.
Bat tastet nach ihrem Messer, löst sich aus dem Schatten und geht auf Lars zu.
»Wir müssen reden«, sagt sie.
***
Die Geschäfte der Innenstadt haben noch geöffnet, aber jetzt, kurz vor Ladenschluss am Samstagabend sind sie beinahe leer und die wenigen Verkäuferinnen, die hier noch ausharren müssen, wirken zu müde, um eine späte Kundin nach ihren Wünschen zu fragen. Judith ist das recht, sie entscheidet sich schnell, probiert, was ihr gefällt, legt die Waren zurück oder bezahlt sie und zieht sie gleich an. Einen Kurzmantel aus braunem Wildleder mit großen, bequemen Taschen. Westernboots in derselben Farbe. Eine Jeans mit Schlag, die erstaunlich bequem ist. Einen schwarzen Pullover mit V-Ausschnitt und eine Halskette aus Glasperlen, die exakt in den Farben ihrer Augen changieren. Ihre alte Kleidung lässt sie sich einpacken, kauft noch eine Sweatshirtjacke mit Kapuze, ein Kleid und eine Bluse und einen Poncho und als Krönung des Ganzen eine Flasche Parfüm, das nach Sandelholz riecht. Sie hat sich nie viel aus Mode gemacht, schon als Teenager nicht, sie hat diese Frauen mit ihren Tüten und Taschen niemals richtig verstanden, aber jetzt ist sie gierig, kauft wie im Rausch, und zum Schluss ist sie so spät dran, dass ihr nichts weiter übrig bleibt, als ein Taxi zu dem Restaurant zu nehmen, in dem sie mit Karl Hofer verabredet ist.
Ich kann verkraften, dass ich einen Mörder getötet habe, wird ihr auf einmal klar. Aber ich bereue, dass ich sein letztes Opfer nicht retten konnte, dass diese Frau nicht mehr leben darf. Ich hätte ihr eine zweite Chance gewünscht, ein besseres Leben, ohne Gewalt.
Sie dreht sich eine Zigarette, bittet den Taxifahrer, schon ein paar Meter vor dem Lokal zu halten. Karl Hofer sitzt an einem Tisch am Fenster, vertieft in die Speisekarte. Judith lehnt sich in einen Hauseingang und zündet die Zigarette an. Sie wollte Leben retten und hat es zerstört. Ohne Absicht, vielleicht sogar ohne Schuld, wenn sie der Argumentation von Manni und Hartmut Warnholz folgt. Was wird sie tun, wenn das Gericht anders urteilt? Wenn sie offiziell für schuldig am Tod einer Zeugin befunden wird und ihren Job verliert? Schuld. Unschuld. Ist die Wahrheit im Nachhinein überhaupt noch zu
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