Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Farben der Schuld

Farben der Schuld

Titel: Farben der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
Vom Netzwerk:
Beispiel kannte Röttgen aus der Telefonseelsorge, sie ist ihm dort sogar in der Mordnacht begegnet.« Er knüllt die Hamburgerpackung zusammen, schiebt das Foto näher zur Krieger. »Und seitdem ist sie abgetaucht.«
    »Ein Gothic-Mädchen.« Die Krieger mustert das Porträt mit Katzenaugen. »Wie halten die es denn mit der Religion?«
    »Die Gothic-Kids verklären den Tod, soweit ich weiß, haben sie aber mit der Kirche nichts am Hut«, sagt Ralf Meuser. »Kreuze und Friedhöfe sind für die so was wie Folklore.«
    Manni nickt. »Ihr Zimmer ist in etwa so anheimelnd gestylt wie ein Sarg.«
    »Kannte sie auch Weiß?«, fragt die Krieger.
    Manni zuckt die Schultern. »Das ist eine der Fragen, die ich ihr gern stellen würde. Wenn wir sie morgen nicht erreichen, schreiben wir sie zur Fahndung aus.«
    »Ja, gut.« Die Krieger sieht plötzlich aus, als ob sie friert. Ihre Sommersprossen wirken riesig, ihre Haut fast transparent. Ihre Rechte umfasst ihr linkes Handgelenk und beginnt es zu massieren, es wirkt wie eine Angewohnheit, die sich verselbstständigt hat.
    »Vielleicht gibt es ja gar keine Verbindung zwischen den Opfern«, sagt Ralf Meuser. »Vielleicht geht es wirklich um die Kirche.«
    »Was heißen würde, dass wir einen durchgeknallten Serienmörder suchen, der katholische Priester hasst und seine Opfer unter ihnen willkürlich wählt.« Judith Krieger steht auf.
    »Sind die Kollegen informiert? Hat jemand Hartmut Warnholz gewarnt?«
    »Ja, klar. Und die Streifen kontrollieren die Kirchen heute Nacht ganz besonders.«
    »Wie viele katholische Kirchen gibt es in Köln?« »Ich weiß es nicht.« Manni schiebt sein Tablett zur Seite. »Zu viele.«
    ***
    Jeder Tote erzählt seine eigene Geschichte. Eine stumme Geschichte, die über die Summe der Verletzungen, Narben und Krankheiten hinausgeht, die eine Obduktion analysiert. Man muss sich Zeit nehmen für diese Geschichte, man muss an sie glauben, um sie zu hören. Nachdem die Kollegen sich in den Feierabend verabschiedet haben, zieht Ekaterina Petrowa den Metallschlitten mit dem toten Priester noch einmal aus dem Kühlregal. Seine Haut schimmert bläulich, seine Augen scheinen sie anzusehen. Was ist mit dir, was verbirgst du vor mir? Kälte schlägt ihr entgegen, Stille, nur das Summen der Neonlampen ist zu hören. Vorsichtig, tastend lässt Ekaterina ihre Hände über den nackten Körper gleiten. Georg Röttgen hatte Angst, er wollte nicht sterben und konnte sich doch nicht wehren. Sie holt einen zweiten Rollwagen und zieht auch die Bahre mit dem Arzt hervor. Fast sofort glaubt sie, dieselbe Angst zu spüren, aber da ist noch etwas anderes, das die beiden Männer verbindet, etwas, das sie bislang nicht gefunden hat, doch sosehr sie sich auch konzentriert, sie kann es nicht greifen, als ob es da ist und doch nicht da.
    Sie gibt auf, schiebt die beiden Männer zurück in ihre Fächer. Eine Chance hat sie vielleicht noch, ein Gespräch unter Medizinerinnen, in einer Umgebung, in der die Witwe sich wohl fühlt… Ekaterina löscht das Licht im Kühlkeller und geht die Treppe hinauf in ihr Büro. Noch nie hat sie bei den Angehörigen eines von ihr obduzierten Verstorbenen einen Hausbesuch gemacht. Noch nie war das nötig, aber Nora Weiß scheint ihr Anliegen nicht weiter zu verwundern. »Kommen Sie nur«, sagt sie, als Ekaterina sie anruft. »Auch wenn ich wirklich nicht weiß, was ich Ihnen noch sagen soll.«
    Ekaterina wäscht sich die Hände und überprüft ihr Make-up. Dann löscht sie das Licht, tritt für einen Augenblick ans Fenster und starrt auf den Friedhof, dessen Existenz sie im Dunkeln eher erahnen als sehen kann. Ein paar rot glimmende Grabkerzen sind die einzigen Lichtpunkte dort. Gaben, die die Lebenden trösten, nicht die Toten, für die sie gedacht sind, aber das gestehen sich die Lebenden selten ein.
    Sie nimmt ein Taxi nach Klettenberg, lässt sich jedoch schon am Anfang der Petersberger Straße absetzen. Ihre Absätze klackern auf dem Pflaster, es ist ungemütlich nasskalt und auf einmal sehnt sie sich nach Schnee. Im Kulturzentrum ›Volksfreude‹ in ihrem Heimatdorf Prirechnij gab es eine Leihbibliothek für die Kinder und ihr Lieblingsbuch war eine Sammlung von Wintergeschichten aus aller Welt. Jede Geschichte war liebevoll illustriert, und das Bild zu der deutschen Geschichte sah genau so aus wie diese Straße mit ihren gepflegten Altbauhäusern. Nur dass es eben schneite, dicke, freundliche Flocken, die die Kinder auf dem Bild offenbar

Weitere Kostenlose Bücher