Farben der Schuld
verändert, fast wirkt sie so stabil wie in alten Tagen. Doch als Manni vor ihr steht, sieht er die dunklen Ringe unter ihren Augen. Viel geschlafen hat sie offenbar nicht.
»Judith, hey. Wolltest du nicht mit dem Rauchen aufhören?«
»Will ich auch immer noch.« Sie lässt die Kippe in den Becher plumpsen, knickt ihn zusammen und wirft ihn in einen Abfalleimer. »Bald.«
Schweigend betreten sie das Obduktionsgebäude. Nur die Notbeleuchtung ist eingeschaltet, die Gänge sind leer und scheinen den Hall ihrer Schritte zu verstärken. Sobald sie sich dem Leichenkeller nähern, empfängt sie der muffige Geruch des Todes, dezent zwar, dennoch kann man ihn nicht ignorieren. Die russische Ärztin ist dagegen vermutlich immun, sorgfältig geschminkt, in grüner Arbeitskleidung schiebt sie eine stählerne Rollbahre vom Kühltrakt zu den Sektionstischen. Unter dem Tuch, das die Bahre bedeckt, zeichnen sich die Umrisse eines menschlichen Körpers ab.
»Vasektomie.« Die Andeutung eines Lächelns umspielt die Mundwinkel der Rechtsmedizinerin. »Die Sterilisation des Mannes. Ein kleiner, harmloser Eingriff, er wird meist ambulant unter örtlicher Betäubung durchgeführt. Zwei kleine Schnitte, rechts und links, an der Unterseite des Hodensacks. Die beiden Samenleiter werden durchtrennt, je ein Stück davon herausgeschnitten, die losen Enden werden verödet. Mit beinahe einhundertprozentiger Sicherheit ist der Mann danach zeugungsunfähig. Die winzige Narbe ist nach ein paar Monaten im runzligen Gewebe des Hodensacks nicht mehr zu sehen.«
Sie rollt die Bahre sehr nah an einen der Sektionstische. »Ich habe gestern Abend mit Nora Weiß gesprochen, weil ich mir etwas noch nicht erklären kann.« Ihre dunklen Augen blicken ins Leere. »Eine bestimmte Energie.«
»Energie«, echot Manni und merkt, wie er ungeduldig wird. »Du meinst den Grund, warum die sich nicht gewehrt haben.«
»Da bin ich noch dran.« Unwillig schüttelt die Petrowa den Kopf. »Aber Nora Weiß hat gesagt, nach der Geburt der Töchter habe sich ihr Mann sterilisieren lassen. Ich habe das überprüft und dabei kam mir dann die Idee …« Sie zieht das Tuch von dem Leichnam auf der Bahre. Manni atmet scharf ein und merkt, wie die Krieger sich neben ihm ebenfalls anspannt. Er hat gedacht, dass der tote Chirurg vor ihnen liegt, doch es ist der Priester.
Die Rechtsmedizinerin justiert einen der OP-Strahler, greift nach einer Pinzette und beugt sich tief über die allerprivateste Körperregion des gemeuchelten Gottesmanns.
»Bei dieser Hautstruktur ist das wirklich schwierig …«, murmelt sie, schiebt den schlaffen Penis zur Seite und zwickt mit der Pinzette zu.
Autsch. Unwillkürlich zuckt Manni zusammen. Die Krieger grinst. Die Russin ist viel zu beschäftigt, um ihr lebendes Publikum zu beachten. Hoch konzentriert zerrt sie am Hodensack des Priesters herum.
»Hier, ganz eindeutig«, sagt sie nach einer Weile. »Seht ihr die winzige Narbe?«
»Röttgen war sterilisiert«, folgert die Krieger.
Die Petrowa nickt und sieht auf einmal unglaublich zufrieden aus, wie eine Katze, die den Sahnetopf ausgeschleckt hat. »Sterilisiert«, bestätigt sie, stakst in ihren absurden Absatzgaloschen auf die andere Seite der Bahre und macht sich am rechten Hoden zu schaffen. »Ich sehe natürlich auch noch von innen nach, aber die Narben sind beidseitig, es gibt eigentlich gar keinen Zweifel.« Sie richtet sich auf. »Hilf mir mal, ihn auf den Tisch zu heben, Manni.«
»Es gibt wohl keinen medizinischen Grund für eine solche Operation«, sinniert die Krieger, während Manni der Rechtsmedizinerin assistiert.
Ekaterina Petrowa schüttelt den Kopf. »Eine Vasektomie dient allein der Verhütung. Sie verändert den Hormonspiegel nicht, auch das sexuelle Empfinden bleibt gleich.«
»Er durfte halt keine Kondome benutzen.« Manni grinst. »Und Kinder wollte er auch nicht.«
Die Petrowa versenkt ihr Skalpell im linken Hoden, klappt die Haut auseinander, stochert darin herum, zerrt etwas Sehnenartiges hervor. »Es ist völlig eindeutig. Der Samenleiter wurde durchtrennt.«
»Wann, Ekaterina?« Judith Kriegers Augen blitzen. »Wann wurde der Eingriff gemacht, kannst du das sagen?«
Die Rechtsmedizinerin schnaubt und klingt dabei exakt wie ihr Chef Karl-Heinz Müller. »Das lässt sich nicht mehr eindeutig feststellen. Ich vermute, der Eingriff liegt nicht länger als zwei oder drei Jahre zurück, aber damit dürft ihr mich nicht zitieren.«
»Melde dich, wenn du noch
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