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Farben der Schuld

Farben der Schuld

Titel: Farben der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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ergründen? Wird sie erleichtert sein, falls sie freigesprochen wird? Und wenn nicht, was ist dann? Freiheit. Sie wird einen Weg finden, ihren Weg. Sie nimmt noch einen Zug von ihrer Zigarette, tritt sie dann aus. Sie stellt sich vor, wie es wäre, Karl Hofer zu berühren, mit den Händen in sein schwarzgraues Haar zu fassen, sein Gesicht zu erkunden und seinen Körper. Sie stellt sich vor, wie es wäre, alles andere darüber zu vergessen, auch wenn sie weiß, dass das nicht funktionieren würde.
    Er hat sehr grüne Augen und er springt auf, als sie ihre Taschen und Tüten neben den Tisch fallen lässt. Sie umarmt ihn flüchtig, setzt sich ihm gegenüber. Den ganzen Tag schon hat sie sich darauf gefreut, auch wenn sie sich bemühte, nicht daran zu denken.
    »Du warst Einkaufen und was du anhast, steht dir ausgesprochen gut.« Er lächelt sie an, schenkt ihr Wein und Wasser ein.
    »Ich war in der Stadt. Und davor war ich arbeiten.«
    Sie trinkt einen Schluck Wasser. Sie ist erschöpft von dem ersten Ermittlungstag und zugleich überdreht. Und sie ist hungrig, so wahnsinnig hungrig.
    »Ich bin Kommissarin. Mordermittlerin. Das hab ich dir bislang nicht erzählt.«
    »Nein.« Er hebt sein Weinglas. »Die Kommissarin und der Fotograf – das klingt wie eine interessante Geschichte.«
    Eine interessante Geschichte. Eine Großstadtromanze mit Abenteuerflair. So könnte es sein, aber so wird es nicht funktionieren. Sie wünscht sich, dass sie einfach schweigen könnte oder zumindest die Wucht dessen, was sie sich vorgenommen hat Karl zu sagen, durch ein paar bedachte Einleitungssätze mildern könnte. Sätze über die Pflicht, über die Polizeiarbeit, über den Sinn des Lebens. Aber solche Sätze fallen ihr nicht ein.
    »Ich habe getötet. Einen Menschen getötet.«
    Jetzt lächelt Karl nicht mehr, aber er sieht sie an, sieht sie immer noch an.
    »Es ist noch nicht lange her.« Der Schmerz kommt plötzlich, brennt und sticht. Sie tastet nach ihrem Handgelenk.
Spread your wings and fly away.
Ihr Handy spielt Queen, ihre Dienstmelodie, einmal, zweimal, noch einmal. Wieder ein toter Priester, ist es das? Sie macht eine entschuldigende Geste zu Karl, nimmt das Gespräch an. Kein weiterer Toter, die Anruferin ist Ekaterina Petrowa.
    »Ich habe vielleicht einen neuen Ansatz«, sagt sie mit ihrer dunklen Stimme. »Ich werde die beiden Verstorbenen gleich morgen früh noch einmal obduzieren.«
    »Ich komme um sieben ins Institut«, sagt Judith, legt dann auf und schaltet das Handy aus. Sie hat nicht gefragt, was das für ein neuer Ansatz ist. Sie hat nicht darauf bestanden, die Untersuchungen sofort durchzuführen. Früher hätte sie das getan und auf eine Art wäre es leicht, jetzt loszufahren. Leichter, als hier zu bleiben. Ein Tribut an die Pflicht. Das ist der Vorteil ihrer Arbeit. Die Schicksale anderer, fremder Menschen stehen im Vordergrund, andere Leben, andere Tode. Nicht die ganz persönlichen Geister der Kommissarin Judith Krieger.
    Judith trinkt einen Schluck Wein und sieht Karl in die Augen.
    »Es war bei einem Einsatz. Notwehr.« Ihre Stimme ist heiser. »Ich wollte das nicht, aber es ist passiert und ich lerne gerade erst, damit zu leben. Du solltest das wissen, bevor …«
    Er nickt. Sieht sie immer noch an. Abwartend. Offen. Sie denkt an seine Lochkamerafotos aus Nepal, diese Langzeitaufnahmen aus einer Blackbox, die etwas sichtbar machen, was da ist und doch nicht da. Schatten und Licht, Bewegung, die längst vergangen ist, flüchtig wie Wind, eine zweite Realität. Sehr langsam lässt Judith ihr Handgelenk los, sehr sacht schiebt Karl Hofer seine Hand über den Tisch.
    »Erzähl es mir«, sagt er.
Sonntag, 26. Februar
    Sonntags um sieben Uhr morgens ist die Stadt wie ausgestorben, auch vom Licht des hereinbrechenden Tages ist noch nichts zu erkennen, als Manni das Rechtsmedizinische Institut erreicht. Ein weiterer toter Priester war sein erster Gedanke, als der Anruf von Judith Krieger ihn noch vor dem Weckerklingeln aus dem Tiefschlaf riss. Aber so ist es nicht, noch nicht zumindest, und wenn es in diesem Fall nur endlich mal gute Nachrichten geben würde – einen brauchbaren Zeugen, einen Erfolg der Kriminaltechnik, eine neue Erkenntnis der Rechtsmedizin, irgendwas muss es vielleicht keine weiteren Morde geben. Die Krieger ist bereits da, mit einem Pappbecher in der Hand lehnt sie neben dem Eingang des 7oer-Jahre-Gebäudeklotzes, raucht und starrt in den Regen. Irgendetwas an ihr hat sich über Nacht

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