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Farben der Schuld

Farben der Schuld

Titel: Farben der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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ist, nimmt sie ihr Handy und beginnt zu telefonieren.
    ***
    Benedikt Ackermann, der Gesandte des Kardinals, leugnet, von der Sterilisation gewusst zu haben. Im Priesterseminar und in Röttgens Ex-Gemeinde will ebenfalls niemand etwas davon wissen. Und Hartmut Warnholz, angeblich der beste Freund und Vertraute und zudem Telefonseelsorgekollege des unsanft aus dem Leben gerissenen Priesters, ist weder persönlich noch telefonisch zu erreichen. Manni sprintet auf Sankt Pantaleon zu. Die Kirchenglocken rufen zur Messe, ein paar verspätete Schäflein eilen im strömenden Regen vor ihnen her. Sonntag, fällt Manni ein. Zeit für Gebete, wenn man drauf steht.
    »Wenn du die Kirchenleute weiterhin so aggressiv angehst, redet bald niemand mehr mit uns.« Meuser hechtet neben ihn. »Oder die beschweren sich und Kühn entzieht uns den Fall.«
    »Für Blümchensex fehlt uns die Zeit.«
    »Vielleicht wissen Röttgens Kollegen und Vorgesetzten ja wirklich nichts von seiner Sterilisation. Vielleicht hatte er noch nicht einmal eine Geliebte. Das ist doch bislang nur Spekulation.«
    »Das glaubst du doch selbst nicht, Ralf!«
    Meuser zieht die Schultern hoch. »In dubio pro reo, gilt das etwa nicht, bloß weil du was gegen die Kirche hast?«
    Wie auf ein geheimes Kommando verstummen die Glocken, sobald sie die Kirche betreten und ihre Schritte hallen überlaut. Meuser langt routiniert ins Weihwasser, deutet einen Knicks an und bekreuzigt sich.
    »Ich mag's nun mal nicht, wenn man mich verarscht«, zischt Manni ihm zu.
    »Psst.« Meuser nickt Richtung Altar, vor dem der mit Brokatlatz herausgeputzte Gemeindepfarrer Bernhard Dix mit einem Gefolge Messdiener aufmarschiert. Manni ballt die Fäuste in den Jackentaschen. Der Gottesdienst geht vor, die Kriminalpolizei muss warten. Auch bei Mord gibt es da natürlich kein Pardon. Er lässt den Blick über die Kirchenbänke schweifen. Ist eines der Gemeindemitglieder der Täter? Betet hier irgendwo Röttgens Geliebte?
    »Liebe Mitchristen«, Dix tritt ans Mikrofon. »Ein Mensch hat schwere Schuld auf sich geladen. Er hat getötet. Hier vor unserer heiligen Kirche …«
    Schuld. Erbsünde. Der Mensch ist schuldig von Geburt an. Auch ein Junge, dessen Vater im Suff die Mutter schlägt, ist schuldig, schuldig, schuldig. Ich bekenne, dass ich Böses getan und Gutes unterlassen habe. Das Beichtritual. Meistens hat Manni genau wie alle anderen Kinder irgendeine Sünde erfunden. Ich hab in der Schule nicht aufgepasst. Die Hausaufgaben abgeschrieben. Heimlich im Bett gelesen. Oder, wenn ihm gar nichts mehr einfiel: Ich hab unkeusche Gedanken gehabt, mich unkeusch berührt – auch wenn er da noch nicht wusste, wie das ging. Nur einmal ist er ehrlich gewesen, da war er ungefähr zehn. Ich hab meiner Mama nicht geholfen, hat er geflüstert. Ich hab mir gewünscht, der Papa wär tot.
    Es war eine Ungeheuerlichkeit, noch während er sprach, hat er das gewusst. Und trotzdem hat er einen Moment lang echte Erleichterung verspürt, fast so etwas wie Frieden. Aber dann drang die Antwort durch das düstere Gitter. Er sollte Jesus um Verzeihung bitten. Er sollte ehrlich bereuen und den Rosenkranz beten. Zehnmal ›Gegrüßet seist du Maria‹ eine ganze Woche lang, und jetzt lauf, Junge, tschüs und sei brav.
    Er muss raus hier, sofort. Auf einmal hält er den Salbader des Priesters keine Sekunde mehr aus. Er rennt aus der Kirche zum Parkplatz, startet den Wagen mit quietschenden Reifen und heizt Richtung Südstadt, nietet in einer der schmalen Gassen fast einen Radfahrer um. Cool, Mann, cool down. Er drosselt sein Tempo, zwingt sich, den alten Hass wieder zu verdrängen, zwingt sich bis zur Wohnung von Mutter und Tochter Sollner langsam zu fahren.
    »Ich muss mit Ihrer Tochter sprechen. Jetzt. Sofort«, sagt er, sobald Ruth Sollner ihm geöffnet hat.
    Sie glotzt ihn an wie ein paralysiertes Kaninchen, sie will ihn nicht reinlassen, das ist ganz eindeutig, aber er hat nicht vor, sich abwimmeln zu lassen und drängt sich an ihr vorbei in den schmalen Flur.
    »Bea schläft noch, sie ist …« Ruth Sollner verstummt, fummelt an ihrer Frisur herum.
    Er mustert sie, merkt plötzlich, dass sie verändert aussieht. Bislang war alles an ihr immer tadellos glatt und in Form, eingeschnürt und festgezurrt, jedes Haar saß an seinem Platz, ihre Kleidung sah aus wie aus dem Katalog. Jetzt aber trägt Ruth Sollner einen schlabberigen Nickianzug, der über Hüften und Oberschenkeln unvorteilhaft spannt und ihr Gesicht wirkt

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