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Farben der Schuld

Farben der Schuld

Titel: Farben der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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Telefon.«
    »Verdammt, Sonni, ich hab echt Stress und -«
    »Ich muss mit dir reden. Es ist wichtig.«
    »Ja, schon gut.«
    »Sag nicht immer ›schon gut‹.«
    »Schon -« Mist. »Ich melde mich gleich noch mal, ja?«
    Er legt auf und starrt zu der Laterne hoch. Der Leuchtkörper sieht intakt aus, trotzdem könnte er schwören, dass die Lampe nicht funktioniert. Dieser Ort hier ist wichtig. Diese Laterne. Warum haben sie die nicht längst überprüft? Weil sie nicht kaputt aussieht, weil es sein kann, dass sie nachts zu einer bestimmten Zeit regulär abgeschaltet wird, weil sie einfach nicht darauf geachtet haben. Manni wählt die Nummer der Auskunft, lässt sich mit den Stadtwerken verbinden. Keine Chance. Es ist nach 17 Uhr. Was ist mit Sonja los, warum war sie so komisch? Nicht jetzt, Mann, später, mach erst hier fertig.
    Dämmerlicht empfängt ihn, als er die Kirche betritt, die schwere Holztür schnappt hinter ihm ins Schloss, ein kalter Lufthauch streift über ihn.
    »Gegrüßet seist du Maria voll der Gnade, der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Frauen …«
    Die Frauenstimme wirkt körperlos, wie die Durchsage in einem Warenhaus. Manni sieht sich um und entdeckt die Lautsprecher an den Säulen über dem Kirchenschiff. In den Bänken darunter knien ein paar vereinzelte, bußfertige Gemeindemitglieder, die das Rosenkranzgebet in den auf dem Tonband dafür vorgesehenen Pausen murmelnd wiederholen.
    »… und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes …«
    Gebenedeit. Früher im Religionsunterricht hatten sie spekuliert, was das wohl bedeuten möge, wenn Maria doch schwanger war.
    Ein übermannshoher mehrarmiger Leuchter ragt aus einem massiven Steinquader hinter den Kirchenbänken. Der mordende Erzengel Michael mit seinem Schwert ist im Dunkel auf der Empore darüber nicht mehr als ein Schemen, das Licht im Kirchenschiff ist nach vorn gerichtet, auf den Jesus am Kreuz über dem Altar.
    »… die Frucht deines Leibes, Jesus, der dich, o Maria, im Himmel gekrönt hat …« Die Tonbandstimme wiederholt das Rosenkranzgebet ein weiteres Mal, die Gemeinde zieht nach. Immer noch ist kein Geistlicher zu sehen, doch ein rotes Lämpchen über einem der Beichtstühle zeigt an, dass dort drinnen gerade etwas passiert.
    Manni lehnt sich an eine Säule. Aus dem Beichtstuhl dringt gedämpftes Flüstern zu ihm, doch die Worte sind nicht zu verstehen und nach etwa zwei Minuten schaltet das Licht auf Grün, die Tür des Beichtstuhls öffnet sich und ein gebücktes Mütterchen hinkt hurtig heraus.
    Ich bereue, dass ich Böses getan und Gutes unterlassen habe. Die Worte von damals sind plötzlich da. Er wollte das nicht, hat sich nicht darum bemüht. Er duckt sich in den Beichtstuhl, zieht die Tür hinter sich zu. Es riecht nach alter Frau und Staub und Tränen und ist zu eng hier drin und zu warm.
    Sein Vater ist nie zur Beichte gegangen, und nur an den Feiertagen zur Messe. Pass auf und erzähl mir auf dem Heimweg, was der Priester gesagt hat, hieß es jeden Sonntag, wenn er mit Manni das Haus verließ, seinen Sohn in die Kirche scheuchte und selbst in die Kneipe zum Frühschoppen verschwand. Und wenn Manni später nicht anständig referieren konnte, was in der Kirche passiert war, setzte es Kopfnüsse, immer ins Haar, damit die Mutter die blauen Flecken nicht sah. Die Mutter, die immer nur zur Abendandacht gehen durfte, weil sie ja sonntags das Essen kochen musste, das der Vater um Punkt zwölf auf dem Tisch erwartete.
    »Gott, der unser Herz erleuchtet, schenke dir wahre Erkenntnis deiner Sünden und seiner Barmherzigkeit.« Die Stimme von Priester Bernhard Dix dringt durch die Gitterwand.
    Manni presst den Hinterkopf an die Holzwand des Beichtstuhls. Wenn Gott diesen Vater mitsamt seines LKW damals aus dem Verkehr gezogen hätte, das wäre tatsächlich ein Zeichen der Liebe gewesen. Ein Beweis für die göttliche Barmherzigkeit, auf die auch Kollege Meuser so steht. Doch darum geht es jetzt nicht. Und auch nicht um seine Kindergebete und die Schuldgefühle, die unweigerlich mit ihnen verbunden waren, denn die sind Vergangenheit. Vorbei und vergangen wie die schmerzenden Beulen, die die Knöchel seines Vaters auf Mannis Kopf hinterließen und die unterdrückten Schreie seiner Mutter, nachts, hinter der Schlafzimmertür und – am schlimmsten – das wimmernde Schluchzen beider Eltern, wenn es wieder einmal vorüber war. Ich wollte das nicht, nie wieder kommt es vor, glaub mir, nie wieder, vergib mir, verzeih

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