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Farben der Schuld

Farben der Schuld

Titel: Farben der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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nimmt sie sich keine Zeit. Steht dort unten auf der anderen Straßenseite jemand und wartet auf sie? Nein, es ist nur ein Nachbar, der im Begriff ist, seine Haustür aufzuschließen. Ruth hastet los, dreht sich immer wieder um. Die Angst treibt sie an, klebt an ihr, der fremde Atem.
    Erst als sie Hartmut Warnholz' Dienstwohnung erreicht, lässt das Gefühl, verfolgt zu werden, ein wenig nach. Sie tritt in den Hinterhof und atmet auf, als sie den Seelsorger durchs Fenster an seinem Schreibtisch erkennt. Wie lieb er ihr in den letzten zwei Jahren geworden ist. Ein wahrer Freund, ein echter Halt.
    Sie klingelt. Sieht vorsichtshalber noch einmal über ihre Schulter.
    »Ruth!« Der Priester ergreift ihre Hand und führt sie zu der Sitzecke in seinem Arbeitszimmer. Er lächelt sie an und schenkt ihr ein Glas Wasser ein, doch sie sieht die Traurigkeit in seinen Augen, die tief in ihren Höhlen liegen. Der Tod seines Freundes setzt ihm viel mehr zu, als er es zeigen will, wird Ruth klar und auf einmal ist es ihr furchtbar peinlich, ihn schon wieder mit ihren eigenen Nöten zu belästigen. Sie will wieder aufstehen, gehen, doch das lässt Hartmut Warnholz nicht zu und so berichtet sie ihm schließlich von den nächtlichen Anrufen, von dem erneuten Besuch des Kommissars und von dessen Appell, ihr Schweigen über die Telefonseelsorge und Georg Röttgen zu brechen.
    »Es ist gut, dass du zu mir gekommen bist, statt selbst mit der Polizei zu sprechen«, sagt Hartmut Warnholz, als sie geendet hat. »Durch die Polizeiermittlungen befinden wir uns in einer sehr sensiblen Situation. Wir müssen mit Bedacht vorgehen, um der Telefonseelsorge nicht zu schaden.«
    »Ich soll also wirklich nichts sagen?«
    »Nein, Ruth, überlass das mir.« Hartmut Warnholz lächelt. »Das ist meine Pflicht. Das Erzbistum hat mich zum vorläufigen Leiter der Telefonseelsorge gemacht.«
    »Oh.«
    »Ich bin also ohnehin mit der Polizei und allen Mitarbeitern im Gespräch.« Er räuspert sich. »Ich habe leider gleich noch einen Termin.«
    »Oh, ja, ja natürlich.« Ruth springt auf.
    »Ich habe eine weitere bezahlte Stelle im Sekretariat beantragt, Ruth. Und es sieht gut aus, wirklich gut.«
    Menschen hasten an Ruth vorbei, als sie wieder auf die Straße tritt. Menschen mit guten oder mit bösen Zielen. Menschen, die gewinnen und Menschen, die verlieren. Aber sie, Ruth, hat noch einmal Glück gehabt. Ihr Leben löst sich nicht auf. Gott hat sie nicht verstoßen, Gott hat sie erhört. Eine feste Stelle. Eine sinnvolle, redliche Arbeit. Keine Arbeitslosigkeit mehr. Sie muss keinen Hartz-IV-Antrag stellen, darf ihre mageren Ersparnisse behalten. Und Hartmut Warnholz wird ihr neuer Chef.
    Sie bleibt abrupt stehen und faltet die Hände.
    »He!« Eine Frau prallt in ihren Rücken.
    »Oh, tut mir leid, ich …«
    »Ist ja nichts passiert.«
    Die Frau nickt ihr zu und läuft in die Einfahrt, die zu Hartmut Warnholz' Büroräumen führt. Eine Frau mit wilden, rotbraunen Locken und riesigen Sommersprossen, die ihrem blassen Gesicht eine aparte Schönheit verleihen.
    Ruth lächelt ihr hinterher, und das Lächeln begleitet sie zurück durch die Straßen und ihre Schritte sind leicht, und sie ist ganz sicher, dass ihr niemand folgt, sie muss das wirklich nicht überprüfen, kein einziges Mal dreht sie sich um. Sie wird frische Blumen für den Jesus in Sankt Pantaleon kaufen. Sie wird eine Kerze anzünden. Sie muss nur erst noch einmal in ihre Wohnung, weil sie vorhin so kopflos aufgebrochen ist. Nicht einmal Geld hat sie dabei.
    Das Telefon läutet, sobald sie ihre Wohnung betritt. Ruth rennt durch den Flur und reißt den Hörer hoch.
    »Sollner, ja bitte?«
    Nichts. Gar nichts. Wer auch immer hier anrief, hat aufgelegt.
    ***
    Hartmut Warnholz wollte den Termin mit ihr verschieben. Ein Freund sei ermordet worden, tragisch, erschütternd, sie hätte doch sicher davon gehört. Ja, hat sie gesagt, ja natürlich und das tut mir sehr leid. Und dann hat sie ihn trotzdem dazu überredet, sie zu treffen. Ich brauche Ihre Hilfe, hat sie gesagt.
    Aber das ist nicht ehrlich gewesen. Sie hat ihm verschwiegen, dass sie wieder ermittelt und jetzt, während sie vor seiner Eingangstür steht, wünscht sie sich plötzlich, sie wäre nicht hier.
    »Judith. Ich darf Sie doch Judith nennen?« Hartmut Warnholz öffnet ihr persönlich.
    Sie nickt, gibt ihm die Hand, folgt ihm durch einen halbdunklen Flur ins Innere des Hauses, dessen Parterre ihm die Kirche zum Wohnen und Arbeiten zur

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