Farben der Schuld
mir, verlass mich nicht.
Manni schluckt das Fisherman's hinunter. Es brennt in seiner Kehle, dann in seinem Magen.
»Korzilius, Kriminalpolizei. Was können Sie mir über die Laterne auf dem Kirchenvorplatz sagen?«
Schweigen von jenseits des Gitters. Ein scharfer Atemzug. Aber vielleicht bildet er sich das auch nur ein.
»Die Laterne ist schon seit einiger Zeit defekt.«
»Wie lange genau?«
»Etwa zwei Wochen. Wir haben das wiederholt bei der Stadt gemeldet …«
»Danke.« Manni stößt die Tür auf, hastet nach draußen, lehnt sich neben der Außentreppe an die Kirchenfassade.
Es wird langsam dämmrig, auf der Straße und auf dem Kirchenparkplatz springen die Laternen an. Aber nicht die am Seitenportal, die bleibt als Einzige dunkel. Hat der Täter das gewusst oder war es ihm egal? Hat er die Laterne manipuliert? Manni versucht sich den Täter vorzustellen, versucht diesen Ort mit dessen Augen zu sehen. Er ist feige, denkt er, und wahrscheinlich ist er auch nicht besonders stark. Doch sein Opfer soll keine Chance haben, er will keinen Kampf mit ihm riskieren. Deshalb die Maske und deshalb der Strom. Er will seinem Opfer Angst einflößen, aber er will kein Gemetzel, er will die Kontrolle. Er hat seine Tat geplant und will sie genau so inszenieren.
Manni starrt die Laterne an.
Mushin.
Der Nichtgeist. Die hohe Kunst des Zen und Ziel aller Meditationen im Karate.
Musbin
ist der Bewusstseinszustand der vollkommenen Absichtslosigkeit. Wer
Mushin
erreicht, kann jeden Gegner bezwingen, denn er hat den eigenen Willen überwunden und kann die Dinge stattdessen ihrem Wesen nach geschehen lassen. Wer
Mushin
erreicht, kann jeden noch so kleinen Fehler des Gegners, jede Chance für Angriff und Verteidigung, so wie sie sich ergibt, ohne Zögern erkennen und nutzen. Es erscheint abstrakt, kaum nachzuvollziehen, wie so vieles in der Karatephilosophie. Man braucht Jahre und Jahrzehnte des Trainings dafür und lernt es vielleicht nie.
Er fischt seinen Autoschlüssel aus der Hosentasche, läuft zum Wagen und erreicht Sonjas Wohnung in nur fünf Minuten. Wieder fühlt er dieses Grummeln im Magen. Etwas kommt auf ihn zu. Der Täter wird wieder zuschlagen. Bald. Manni drängt diese ungute Ahnung beiseite, klingelt an Sonjas Tür.
»Fredo, hey, das ging schnell!« Sie zieht ihn in ihre Küche, wo es nach einer ihrer asiatischen Suppen duftet, die sie in jeder Lebenslage kocht.
»Tom Kba Gai,
eine thailändische Hühnersuppe mit Gemüse und Kokosmilch«, erklärt sie und macht sich am Herd zu schaffen. »Willst du was?«
»Unbedingt.« Er wäscht sich die Hände über der Spüle und setzt sich an den Tisch.
Inzwischen sind diese Zusammenkünfte in Sonjas Küche schon eine Gewohnheit geworden, nein, wichtiger, besser. Er kann das nicht näher beschreiben, aber es fühlt sich richtig an, hier mit ihr zu sitzen, zu essen, zu reden, zu trinken. Vielleicht hat er sich vorhin am Telefon geirrt, und es gibt gar kein Problem, vielleicht wollte sie ihn nur einfach mal wieder sehen. Er streckt die Beine aus. Ich will das nicht mehr missen, gesteht er sich ein. Ich will sie nicht mehr missen.
»Achtung, scharf.« Sonja platziert zwei gefüllte Teller auf den Tisch und setzt sich ihm gegenüber. Ohne ihn zu berühren und ohne ihn anzufassen.
Wieder grummelt sein Magen. Er versucht ihren Blick Anzufangen, aber sie starrt auf ihren Teller, streicht sich eine rotblonde Haarsträhne hinters Ohr und beginnt dann stumm ihre Suppe zu essen.
»Was ist los, Sonni, worüber müssen wir reden?«
Langsam, sehr langsam, lässt sie ihren Löffel sinken. Immer noch guckt sie ihn nicht an, aber sie sieht plötzlich unglaublich jung aus, wie ein kleines Mädchen, das tapfer versucht, gegen die Tränen anzukämpfen, obwohl gerade sein Lieblingsspielzeug kaputtgegangen ist. Und dann, als er gerade schon denkt, sie schafft es nicht, sie wird nicht antworten, sondern heulen, hebt sie den Kopf, begegnet seinem Blick und sieht überhaupt nicht mehr kindlich aus.
»Ich krieg meine Tage nicht«, sagt sie.
***
Lars hat sie ausgelacht, einfach ausgelacht, als sie ihn vor seinem Studio zur Rede stellte. Zuerst ist Bat noch ganz ruhig geblieben, zum Schluss hat sie geschrien. Schließlich weiß sie ganz genau, wie es in seinem Studio abgeht, Jana hatte ihr das ja alles erzählt. Und je länger Bat darüber nachdenkt, desto mehr Details fallen ihr ein. Geh da nicht mehr hin, hatte sie Jana beschworen. Und zum Schluss hatte Jana tatsächlich aufgehört, von
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