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Farben der Schuld

Farben der Schuld

Titel: Farben der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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Verfügung stellt.
    Das Zimmer, in das er sie führt, verströmt Ikea-Charme. Hellgelbe Raufaser an den Wänden, Topfpalmen, eine Sitzgruppe aus Kiefernholz mit karierten Kissen, Billyregale.
    »Möchten Sie Wasser? Tee?«
    »Wasser.«
    Debriefing,
hat er bei ihrem letzten Treffen gesagt. Wir gehen gemeinsam Schritt für Schritt zurück. Wir betrachten die Ereignisse, die Sie traumatisierten, noch einmal und finden einen Weg für Sie, damit zu leben. Wir erschaffen Säulen der Sicherheit, die Ihr Trauma eindämmen und somit für Sie beherrschbar machen werden. Es klang verlockend, beinahe leicht. Sie weiß von Kollegen, dass es funktionieren kann.
    Judith trinkt einen Schluck Wasser, ihr Mund ist trocken. Pelzig. Verräterin. Lügnerin.
    »Standen Sie Georg Röttgen nah?«
    Warnholz mustert sie überrascht. »Wir kannten uns lange. Ich war sein Mentor, damals, als ich schon Priester war und er noch Kaplan. Wir haben seitdem zusammen musiziert.«
    Musik. Röttgens Geige. In der ansonsten tadellos aufgeräumten Wohnung lag sie schräg auf ihrem Kasten, als hätte Georg Röttgen sie nur kurz beiseitegelegt, steht in Meusers Bericht über die Durchsuchung der Wohnung.
    »Welches Instrument spielen Sie?«, fragt Judith den Polizeiseelsorger.
    »Cello.«
    »Cello und Geige.«
    »Und Bratsche.« Warnholz nickt gedankenverloren. »Die Streicher. Eigentlich waren wir zu dritt.«
    »Eigentlich?«
    »Unser dritter Mann starb bereits im letzten Sommer.«
    Pastor Braunmüller. Der dritte Mann auf dem Foto, das Warnholz und Röttgen gemeinsam vor Sankt Pantaleon zeigt.
    »Haben Sie sich oft getroffen?«
    »Jeden Dienstag.« Er sieht voraus, was Judith als Nächstes fragen will und schüttelt den Kopf. »Am letzten Dienstag nicht, es war ja Karneval.«
    Am Tag, an dem der Chirurg Jens Weiß ermordet wurde, haben sich Röttgen und Warnholz nicht wie sonst zum Musizieren getroffen. Es schwingt etwas mit in dieser Aussage. Etwas, das wichtig ist, entscheidend, sie kann es nur noch nicht sehen. Der dritte Weg. Die dritte Möglichkeit.
    »Wo haben Sie sich getroffen?«
    »Weshalb sind Sie hier, Judith, doch nicht, um über mich zu sprechen?«
    »Nein.« Sie zwingt sich zu einem Lächeln. »Ich frage wohl aus berufsbedingter Gewohnheit.«
    »Seit Max' Tod haben wir uns hier getroffen.«
    »Und davor?«
    »In der Dienstwohnung von Max.«
    »Bei Sankt Pantaleon.« Sie sieht Warnholz in die Augen. »Zwei gute Freunde von Ihnen sind tot. Haben Sie keine Angst?«
    »Sprechen wir über Sie, Judith, wie geht es Ihnen?«
    Sie zögert. Sie will das Thema nicht wechseln, sondern weiterfragen. Aber sie will auch keine offizielle Vernehmung führen, noch nicht jedenfalls.
    Judith trinkt einen Schluck Wasser. »Ich schlafe besser. Tagsüber geht es mir stundenlang gut und dann, plötzlich … Eine Tür schlägt zu. Ein Streichholz ratscht. Irgendetwas erschreckt mich und sofort bekomme ich Panik und bin wieder in diesem Haus. Ich kann das nicht kontrollieren …« Sie bricht ab.
    »Derealisation.« Warnholz nickt. »Sie nehmen die Wirklichkeit nicht mehr so wahr, wie sie ist. Sie erleben das traumatische Erlebnis wieder und wieder.«
    »Ich will, dass es aufhört«, sagt Judith leise.
    »Sie haben gesagt, dass Sie sich schuldig fühlen.«
    »Ich habe getötet, ja. Einen Mord nicht verhindert. Damit muss ich leben.«
    »Und? Können Sie das?«
    »Ich habe ja keine andere Wahl.«
    »Sie könnten um Vergebung bitten.«
    »Wen? Gott?«
    Warnholz lächelt. »Das wäre eine Möglichkeit, ja.«
    »Ich sage sorry – und Gott sagt, okay?«
    »Die Voraussetzung für Vergebung ist ehrliche Reue.«
    Reue. Ich bereue. Ein Bild steigt vor Judith auf, so präzise und scharf, als hätte es jemand tatsächlich fotografiert. Ihr sterbender Vater, mit weit aufgerissenen Augen. Blind vom Schnee, der fällt und fällt. Hat er bereut, seine Frau und die kleine Tochter in Deutschland gelassen zu haben? Hat er nach ihnen gerufen, sich nach ihnen gesehnt?
    Zum ersten Mal sieht sie auch den Abschied vor sich. Sieht sich selbst, wie sie im Flur der Berliner Altbauwohnung vor einem riesigen olivgrünem Militärrucksack aus grobem Leinen steht. Der Sack macht ihr Angst, er war lange im Keller. Er riecht muffig und fremd. Aber dann kommt ihr Vater, hebt sie hoch und küsst sie. Und sie schlingt die Arme um ihn und gerade als sie sich traut, nach dem grünen Ungetüm zu blinzeln, setzt ihr Vater sie schon wieder auf den Boden und schultert den Rucksack. Er geht durch die Tür,

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