Farben der Schuld
Techniker von den Stadtwerken.«
»Es war also dunkel dort«, die Krieger starrt aus dem Fenster. »Dunkler als sonst…«
Weiter kommt sie nicht, denn die Tür fliegt auf und Kühn stürmt herein, Ralf Meuser im Schlepptau, der auffallend rote Backen hat.
»Hier bist du, Korzilius, du fährst jetzt sofort mit Meuser los, es gibt eine neue Spur«, kläfft der Leiter der Soko Priester. »Und du, Krieger, kommst mit mir. Du hast Besuch aus Düsseldorf.«
Bestimmt ist Bea in dieser Nacht noch heimgekommen. Bestimmt hat sie dann so tief geschlafen, dass sie das Telefon nicht hörte. Oder sie hat bei Fabian übernachtet und jetzt, am Morgen, arbeitet sie schon wieder in der Friedhofsgärtnerei und ihr Handy ist ausgeschaltet oder sie hat es mal wieder vergessen oder sie geht einfach nicht ran, weil sie keine Lust auf ein Gespräch mit ihrer lästigen, überbesorgten Mutter verspürt. Während sie eine weitere Nachtschicht in der Telefonseelsorge durchstand, hat Ruth sich mit diesen Gedankenspielen beruhigt. Und auch jetzt, nachdem sie ihre Sachen zusammengepackt hat, um ihrer Kollegin Gerti Platz zu machen, betet sie sich mit stummer Inbrunst all diese vollkommen plausiblen, vollkommen harmlosen Begründungen vor, warum ihre Tochter nicht zu erreichen ist. Bea ist nichts passiert. Alles ist wie immer. Bestimmt, ganz bestimmt.
Die Nacht war ruhig, ohne besondere Vorkommnisse. Kein weiterer stummer Anruf ist bei der Telefonseelsorge eingegangen, beinahe unwirklich kommt Ruth ihre gestrige Panik nun vor. Sie stellt ihre Tasse in die Spülmaschine und wäscht sich die Hände über dem blitzblanken Becken. Bea hat gestern Abend hier geputzt, hat Hartmut Warnholz ihr berichtet, und ganz offensichtlich hat ihre Tochter sich wirklich Mühe gegeben – warum also nagt diese Panik an ihr?
Um kurz nach Mitternacht war der Anruf gekommen. Kannst du kommen, Ruth, kannst du mich ablösen, bitte, hatte ihr Kollege Bernd gefragt. Ich habe mir offenbar einen Magen-Darm-Virus eingefangen und die anderen erreiche ich nicht… Natürlich hatte Ruth nicht nein gesagt, natürlich war sie gleich losgelaufen. Eigentlich ist es ja nicht erlaubt, zweimal hintereinander die Nacht durchzuarbeiten, aber einige Mitarbeiterinnen haben sich krankgemeldet, andere weigern sich, nachts zu arbeiten, solange der Priestermörder frei herumläuft. Auch sie hatte Angst, natürlich, ja, aber Hartmut Warnholz soll wissen, dass er sich auf sie verlassen kann, gerade jetzt, und das Seelsorgetelefon muss doch in jedem Fall besetzt sein, die vielen einsamen und gequälten Menschen, die es in dieser Stadt nun einmal gibt, verlassen sich schließlich auf seine Existenz.
Ruth trocknet sich die Hände ab. Hängt das Handtuch wieder an seinen Haken. Streicht mit der Hand über die Spüle. Es kostet sie Kraft, ihren Mantel anzuziehen, unendlich langsam knöpft sie ihn zu. Aus dem Beratungszimmer hört sie das Seelsorgetelefon. In dem Büro, das Hartmut Warnholz bezogen hat, raschelt Papier. Unschlüssig macht Ruth einen Schritt darauf zu, bleibt dann stehen, als sein Handy zu klingeln beginnt.
»Warnholz.«
Sie lächelt, als sie seine warme Stimme hört. So sicher. So ruhig. Aber etwas in diesem Gespräch ist seltsam. Er sagt gar nichts mehr, stößt nur ein kurzes »Wie bitte?« hervor und dann »Hallo? Hallo?«.
»Ist etwas …?« Sie zittert. Steht plötzlich vor seinem Schreibtisch, ohne darüber nachgedacht zu haben, ohne noch sagen zu können, wie sie das so schnell schaffte.
»Ruth! Ich dachte, du wärst längst daheim.« Der Seelsorger lässt das Handy sinken, langsam, geistesabwesend. Als ob dieses kleine Gerät sehr schwer wiegen würde, sieht diese Geste aus.
»Wwas war dddas für ein Anruf gerade?« Ihre Zähne klappern.
»Ich weiß es nicht, jemand hat sich wohl verwählt.« Er steht auf, drückt sie auf einen Stuhl. »Du musst dich jetzt entspannen, Ruth, du musst nach Hause fahren, dich hinlegen und schlafen. Ich rufe dir ein Taxi, ja?« Er lächelt. »Auf Kosten der Seelsorge, das hast du verdient.«
Sie will ihm widersprechen, sie will ihm sagen, dass sie sich fürchtet, nach Hause zu gehen, weil die Wohnung zu leer ist, zu still, weil es sein kann, dass Bea nichts von sich hören hat lassen, weil es sein kann, dass nur ein paar Heuschrecken dort auf Ruth warten. Heuschrecken und ein Chamäleon, mit stoischem, eiskaltem Blick.
Das Tageslicht blendet sie, obwohl es grau und trübselig ist, der Taxifahrer versucht, ein Gespräch mit ihr
Weitere Kostenlose Bücher