Farben der Schuld
eine seiner früheren Freundinnen davon phantasierte, hatte er sich immer schnell verabschiedet. Aber Sonja ist anders. Mit ihr ist es anders. Sie könnten zusammenziehen, es einfach probieren. Vater Mutter Kind. Nach nicht einmal zwei Monaten, die sie sich kennen. Es ist zu früh, denkt er. Es kann nicht funktionieren.
»Heute Morgen war ich so sicher, aber jetzt…«, sagt Meuser neben ihm.
Manni nickt. Zwei bleischwere Vernehmungen liegen hinter ihnen. Erst mit einem früheren Assistenzarzt von Jens Weiß, dann mit dem Vater eines Jungen, der nach einer Routineoperation, die Weiß geleitet hatte, an einer falsch dosierten Glukose-Infusion gestorben war. Der Assistenzarzt war dafür allein verantwortlich gewesen, hatte das Gericht entschieden. Doch Weiß war der Chef der Station gewesen und diese Tatsache taugt durchaus zum Mordmotiv. Vielleicht ist also alles ganz anders, vielleicht geht es also ursächlich um Weiß und gar nicht um Röttgen oder um die Kirche. Und so hatte Manni sich von Meusers Enthusiasmus anstecken lassen. Voller Elan waren sie aufgebrochen und hatten erwartet, zwei Männer zu vernehmen, die Weiß hassen, ihm eine Mitschuld am unwiederbringlichen Verlust von Karriere beziehungsweise Sohn geben oder Weiß' gewaltsamen Tod zumindest mit Genugtuung registrieren würden. Doch stattdessen waren sie nur auf Trauer und bleischwere Resignation gestoßen, die nun als stummer, ungebetener Gast mit im Wagen hockt.
Sie stecken fest. Sie haben zwar weitere Speichelproben und Alibis, die sie überprüfen müssen, doch noch immer gibt es keinen Verdächtigen, der ein Motiv hätte, sowohl den Arzt als auch den Priester zu töten und Mörder zu nennen. Manni wechselt die Spur, beschleunigt, merkt wieder diesen Druck in seinem Magen, diese Ahnung auf etwas zuzusteuern, was er nicht kontrollieren kann. Wieder glaubt er Sonjas Worte zu hören. Wieder hört er sein Versprechen: Ich melde mich. Später, denkt er. Nachher. Nicht jetzt.
Er schaltet die Freisprechanlage ein, wählt die Handynummer der Krieger. Ist sie überhaupt noch seine Kollegin oder haben sie sie inzwischen suspendiert?
»Das Licht«, sagt sie, ohne ihm Zeit zu lassen, etwas zu berichten oder danach zu fragen, wie sie mit dem externen Ermittler klargekommen ist. »Als Jens Weiß ermordet wurde, war es dunkel vor Sankt Pantaleon, dunkler als sonst, wegen der defekten Laterne.«
»Ja, das wissen wir bereits, und?«
»Jens Weiß trug eine Soutane. Er hat ungefähr dieselbe Statur wie Röttgen. Ich glaube, der Täter hat Weiß nur getötet, weil er ihn für Georg Röttgen hielt.«
»Unser Chirurg war einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort?«
»Georg Röttgen kam regelmäßig dienstags nachts an Sankt Pantaleon vorbei. Er mochte die Kirche. Hatte vielleicht sogar einen Schlüssel zu ihr. Wenn der Täter von Anfang an ihn töten wollte, dann ist es durchaus wahrscheinlich, dass er Röttgens Gewohnheiten kannte und ihm an der Kirche auflauerte.«
»Und dann kommt nicht Röttgen, sondern Jens Weiß.«
»Und es ist so dunkel, dass der Täter das nicht bemerkt.« Die Krieger inhaliert Qualm, das ist deutlich zu hören. »Und als er es schließlich erkennt, vielleicht auch erst aus den Nachrichten erfährt, ist es zu spät.«
»Also muss er noch mal ran«, sagt Manni langsam. »Er wartet zwei Tage, dann ruft er Röttgen aus einer Telefonzelle an, verabredet sich mit ihm am Priesterseminar.«
»Weil er Röttgen kennt, ja. Und weil er davon ausgehen muss, dass die Polizei Sankt Pantaleon im Auge behält«, ergänzt die Krieger. »Oder dass Röttgen so kurz nach dem ersten Mordfall misstrauisch geworden wäre, hätte er ihn dorthin bestellt.«
»Okay, könnte sein.« Manni setzt den Blinker, zieht scharf nach rechts auf die Zoobrücke und flucht. Stau. »Klingt sogar ziemlich plausibel«, sagt er. »Keine Verbindung zwischen den Opfern. Nur eine tragische Verwechslung. Und zufällig sind beide Opfer sterilisiert?«
»Ja, das stört mich auch an dieser Theorie.« Wieder zieht die Krieger an ihrer Zigarette. »Aber zumindest was Weiß angeht, wissen wir, warum er sich sterilisieren ließ. In seinem Fall ist das völlig plausibel.«
»Aber nicht bei unserem Priester.«
»Es sei denn, er war sexuell aktiv.«
»Was er nicht sein durfte.« Manni wirft einen schnellen Seitenblick zum Kollegen Meuser, doch der scheint gar nicht richtig zuzuhören, sondern fummelt an seinem Handy herum.
»Röttgen hatte eine Geliebte«, sagt Judith Krieger.
Weitere Kostenlose Bücher