Farben der Schuld
»Ich bin mir sicher. Eine Geliebte – und auch ein Kind.«
»Mag sein, ja. Aber selbst wenn wir die finden, suchen wir immer noch einen männlichen Täter, das hat der DNA-Test klar ergeben. Und was ist mit dieser Anklage, Mörder, wie passt die? Unerlaubtes Herumvögeln ist doch noch kein Mord – selbst der Papst dürfte das so sehen.«
Die Krieger seufzt. Und zu Mannis Überraschung, ergreift Meuser das Wort, den Blick immer noch auf das Display seines Mobiltelefons geheftet.
»Der heilige Georg«, sagt er langsam. »Wenn der Mörder an Sankt Pantaleon wirklich Georg Röttgen zu töten glaubte, dann passt es perfekt.«
»Was passt perfekt, Ralf?«, fragt die Krieger ruhig.
»Die Inszenierung der Tat.« Meuser holt Luft und schielt auf sein Handydisplay. »So wie Albanus und Michael wird auch der heilige Georg oft mit einem Schwert abgebildet. Vor allem aber ist Georg ein sehr bedeutender Märtyrer. Angeblich hat Jesus selbst ihm ein siebenjähriges Martyrium und mehrere Tode vorausgesagt. Wenn der Täter tatsächlich darauf anspielt, dann ist er wohl der Auffassung, dass Georg Röttgen für ein wirklich schwerwiegendes Verbrechen bestraft werden muss.«
»Was für ein Verbrechen?«, fragt Manni.
Meuser zuckt die Schultern. »Das weiß ich nicht. Aber auf jeden Fall gibt es zwischen dem heiligen Georg und dem Erzengel Michael, dessen Skulptur wir ja in Sankt Pantaleon finden, eine hochinteressante Verbindung.«
»Nämlich?«
»Georg ist dreimal den Märtyrertod gestorben. Und jedes Mal war es der Erzengel Michael, der ihn in Gottes Auftrag wieder zum Leben erweckte.«
»Damit er weiter gefoltert werden konnte?«
Meuser nickt. »Ja.«
***
Der Schmerz kommt in Wellen und schüttelt sie. Sie rollt sich auf die Seite in Embryohaltung, umschlingt ihre Knie. Ihr ist kalt, wahnsinnig kalt. Ihr ganzer Körper zittert und bebt, und ihre Zähne klappern, klappern und klappern, und da ist noch etwas: ein anderes Geräusch, ein Gefühl auf der Haut. Wind vielleicht. Kalt, so kalt. Hört nicht auf.
Sie will das nicht. Will nicht mehr frieren. Will nichts mehr spüren. Sie will wieder schlafen, vergessen, fliehen. Decke, wo ist ihre Decke, sie braucht ihre Decke, ihre warme, vertraute Decke. Sie tastet danach, tastet ins Leere. Hart. Kalt. Dreck unter ihren Fingern. Etwas raschelt. Knistert. Sie reißt die Augen auf, versteht nicht, was sie sieht.
Fahles Licht. Ein zerbrochenes Fenster. Betonfußboden. Sie liegt auf Pappe. Noch weitere Pappen stapeln sich neben ihr. Blut klebt darauf, in asymmetrischen Spritzern.
Ein Mann hat mich zusammengeschlagen.
Wer? Wie? Bat stemmt sich hoch, zitternd, wimmernd. Ihr Kopf tut so weh. Ihr Rücken. Ihr Bauch. Alles tut weh. Ihre Brüste sind nackt, BH und Bluse zerrissen, Leggins und Slip kleben in Fetzen an ihren Beinen.
Vergewaltigung. Ich bin vergewaltigt worden. Ein Mann kniet über mir. Lange, lange, hört nicht auf.
Ist es das, was mit Jana geschehen ist? Ist sie deshalb gestorben? Jana. Lars. Auf einmal fällt ihr das wieder ein. Sie hatte Lars beobachtet, sie hatte ihn mit dem blonden Mädchen fotografiert, sie wollte ihn überführen, und dann war der Blitz von der Kamera losgegangen und dann …?
Leere. Schwärze. Sie war allein hier, oder? Dann muss aber jemand gekommen sein. Und dann, was war dann? Lars. Er hat den Blitz gesehen und ist rübergekommen. So muss es sein. Doch sosehr sie es auch versucht, sie kann sich nicht erinnern. Ein anderes Bild ist plötzlich da, schemenhaft, neblig. Jemand hat ihr etwas zu trinken gegeben, hat sie umarmt und gehalten, als sie so furchtbare Schmerzen hatte. Oder? Oder? Wieder springt sie das erste Bild an. Der Schatten, der über ihr kniet. Sie zerdrückt. Sie zerreißt.
Sie muss weg hier, weg. Sie muss nach Hause. Oder zu Fabi.
Irgendwohin. Ihr Kopf dröhnt und hämmert, ihr Mund ist ganz trocken, ihr ist wahnsinnig schlecht. Sie zerrt die Reste der Strumpfhose hoch, knöpft ihren Mantel über der kaputten Bluse zu. Stützt sich an der Wand ab, stemmt sich hoch, taumelt zur Treppe. Unendlich lange braucht sie für jede Stufe.
Unten sind zwei Penner, die Wodka saufen.
»He, Kleine, wo kommst du denn her, willst du auch einen Schluck?«
Ihr Messer, ihr Reizgasspray, sie greift danach, greift ins Leere. Auch die Kamera ihrer Mutter ist nicht mehr da und ihr Geld. Sie drückt sich an die Wand, an den Pennern vorbei, die sie zum Glück in Ruhe lassen. Lars' BMW steht nicht mehr im Hof. Überhaupt niemand ist hier
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