Farben der Sehnsucht
und fragte, ob sie auf ihn warten könne. Den Rest kannst du dir denken.«
»Das mag sein«, sagte Noah, »aber ich möchte ihn lieber von dir hören.«
»Du bist schrecklich beharrlich«, scherzte Sloan. Statt sich ablenken zu lassen, runzelte er fragend die Stirn und sah sie erwartungsvoll an. Unfähig, sich seiner schweigenden Aufforderung zum Weitererzählen zu widersetzen, seufzte sie schließlich und sagte: »Innerhalb von wenigen Minuten hatten sie die ganze Geschichte aus ihr herausgequetscht. Seine Eltern schäumten vor Wut.« Sie machte eine Pause und dachte darüber nach, wie sie den Rest der Geschichte in Worte fassen sollte. Carter war Noahs Freund und Paris’ Vater, und sie wollte das Bild, das Noah von Carter hatte, nicht gänzlich zerstören. »Natürlich war ihnen aber auch klar, daß ihr Sohn einen Fehler begangen hatte, und als Carter schließlich nach Hause kam, akzeptierte er seine Verantwortung und verließ mit meiner Mutter...«
Noah hatte sofort bemerkt, daß sie die Wahrheit zu beschönigen suchte. »Das nehme ich dir nicht ab, Sloan. Ich habe zwar Carters Mutter und Vater erst kennengelernt, als sie schon älter waren, aber ich glaube nicht, daß sie sich so sehr verändert haben. Was ist wirklich passiert?«
Sloan, die sich durch seine Unverblümtheit in die Enge getrieben fühlte, spielte verlegen mit der Serviette auf ihrem Schoß, hob dann aber den Kopf und hielt seinem unerbittlichen Blick stand. »Also gut«, seufzte sie. »Als Carter an jenem Abend nach Hause kam, war er betrunken, und seine Eltern waren ihm schon böse aufgrund einer langen Liste anderer Dummheiten, die er sich zuschulden hatte kommen lassen. Sie warfen ihn und meine Mutter kurzerhand hinaus. Es muß eine ziemlich ernüchternde Erfahrung für ihn gewesen sein. Er und meine Mutter machten in Las Vegas einen Zwischenstopp und heirateten dort, bevor sie dann zu ihr nach Florida zogen. Er hatte genug Geld übrig, um ein Segelboot zu kaufen, das er für die nächsten zwei Jahre vermieten konnte. Bald wurde Paris geboren, und ein Jahr später kam ich auf die Welt.«
»Und dann?«
»Dann kam eines Tages Carters Mutter in einer Limousine angefahren, um ihm mitzuteilen, daß sein Vater einen Schlaganfall hatte. Sie sagte ihm, daß er im Schoß der Familie wieder willkommen sei und daß er eine seiner beiden Töchter mit sich nehmen solle. Am selben Tag noch machten sie sich zusammen mit Paris auf den Weg.«
»Courtney hat den Eindruck gewonnen, daß für dich und deine Mutter nach der Trennung nicht gut gesorgt wurde.«
»Meine Mutter erhielt eine bescheidene Abfindung«, sagte Sloan vage.
»Wie bescheiden?«
»Bescheiden«, erwiderte Sloan stur und schüttelte dann lächelnd den Kopf. »Ein größerer Betrag hätte aber auch nichts geändert. Meine Mutter ist so uneigennützig und gutgläubig, daß sie das Geld jedem Dritten gegeben hätte, der sie um einen Kredit gebeten hätte, oder daß sie es sich von irgendeinem gerissenen >Finanzberater< abschwindeln hätte lassen.«
»Hat sie das mit dem Geld aus ihrer Abfindung getan?«
»Mit einem Großteil davon«, bestätigte Sloan.
»Du sprichst nie von Carter als deinem Vater, nicht wahr?« fragte Noah.
Sie blickte ihn lachend an und verdrehte die Augen. »Er ist nicht mein Vater.«
Noah senkte langsam sein Weinglas. »Das ist er nicht?«
»Nicht im wirklichen Sinne.«
»Und was genau verstehst du darunter?«
»Er ist mein biologischer Vater und damit basta. Ein richtiger Vater zu sein bedeutet viel mehr. Ein Vater ist jemand, der deine Tränen trocknet, wenn du klein bist, und der unter deinem Bett nachsieht, weil du Angst hast, daß ein Monster darunter sitzt. Er sorgt dafür, daß der Schulbösewicht dich und deine beste Freundin in Ruhe läßt. Er geht zum Elternabend, und er sieht zu, wenn du Softball spielst, auch wenn du eigentlich zu klein bist zum Spielen und meistens auf der Bank sitzen mußt. Er macht sich Sorgen um dich, wenn du krank bist, und er macht sich Sorgen, daß die Jungs dich verführen wollen, wenn du zum Teenager herangewachsen bist.«
Noah mußte über die Einsichten in ihre Kindheit grinsen, die sie ihm mit ihren Ausführungen unabsichtlich verschafft hatte. In seiner Vorstellung blitzte das Bild eines kleinen blonden Mädchens mit traurigen, veilchenblauen Augen auf, das auf einer Bank sitzt und schmollt, weil man es nicht Softball spielen läßt. »Du hast Softball gespielt?« fragte er und versuchte sich zu erinnern, ob er je eine
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