Farben der Sehnsucht
abgegeben hatte.
»Gute Arbeit, Andy«, sagte er und klopfte Cagle anerkennend auf die Schulter, blieb aber wie angewurzelt stehen, als dieser den Kopf hob und ihn verwirrt und erschrocken anstarrte. »Was ist denn los?« fragte Hocklin, der sofort das Schlimmste befürchtete, da Cagle sonst auch in kniffligen Situationen die Ruhe selbst war.
»Sie ist ein Cop«, sagte Cagle.
»Was?«
Cagle hielt die fünfunddreißig Seiten dicke Akte über Sloan Reynolds hoch und wiederholte: »Sie ist ein Cop.«
Hocklins erster Gedanke war, daß er wie ein vollständiger Narr dastehen würde, wenn er den Medien seinen Fehler eingestehen mußte. Nach einem Weilchen entspannte er sich aber ein wenig. »Na und? Cops verdienen nicht viel Kohle, und sie wollte eben ihren gerechten Anteil vom Erbe der alten Lady.«
»Vielleicht.«
»Hat sie abgestritten, daß die Glock ihr gehört?«
»Nein. Sie hat nur abgestritten, sie unter der Matratze versteckt zu haben. Wie auch immer, die Waffe ist unter ihrem Namen registriert. Sehen Sie sich das an.« Er zeigte Hocklin den Bericht.
Hocklin ignorierte sowohl Cagles Worte als auch den Bericht. »Sie hatte ein Motiv und eine Waffe; und sie hat kein Alibi. Nehmen Sie sie in Untersuchungshaft.«
»Ich glaube nicht...«
»Ich habe Ihnen einen Befehl erteilt.«
»Aber es könnte sein, daß wir einen Fehler machen.«
»Nehmen Sie sie in Untersuchungshaft! Falls sich heraussteilen sollte, daß wir unrecht haben, werden wir uns bei ihr entschuldigen.«
Cagle starrte wütend auf Hocklins Rücken, als dieser ohne ein weiteres Wort das Büro verließ. Dann hievte er sich aus seinem Stuhl und ging zurück zu dem Raum, in dem Flynn mit Sloans Verhör beschäftigt war. »Entschuldigen Sie, bitte«, sagte er in mechanischem Tonfall zu Sloan und warf dann einen Blick auf Flynn, wobei er eine Kopfbewegung zur Tür machte. »Ich muß dich kurz draußen sprechen.«
Flynn war zu verwirrt, um sofort reagieren zu können. Sloan hatte jedoch sofort verstanden, was vor sich ging: In dem Moment, als Cagle sie angesehen und sich bei ihr entschuldigt hatte, hatte sie gewußt, daß er über ihr Geheimnis im Bilde war. Dem dicht bedruckten Papierstapel in seiner Hand nach zu urteilen, war er endlich auf die Idee gekommen, DBT nach ihr zu befragen, und hatte so ihre wahre Identität herausgefunden. Wenngleich sie dies auf gewisse Weise erleichterte, befand sie sich aber nach wie vor in einer Zwickmühle: Sie konnte ihnen immer noch nicht sagen, wieso sie sich als Innenarchitektin ausgegeben hatte und daß sie in Wirklichkeit für das FBI arbeitete.
Sloan hatte erwartet, daß Flynn und Cagle sie bei ihrer Rückkehr mit Samthandschuhen anfassen und nicht mehr wie eine Mörderin behandeln würden. Damit lag sie jedoch falsch.
»Miss Reynolds«, sagte Flynn kurz, »würden Sie bitte mit mir kommen?«
Sloan stand auf. Sie konnte noch nicht glauben, daß man sie einfach so ohne weiteres freilassen würde. »Wozu denn?«
»Sie kennen ja die Prozedur. Sie haben sie selbst schon oft genug mitgemacht, nur befanden Sie sich sonst immer auf der anderen Seite.«
»Haben Sie etwa vor, mich in Untersuchungshaft zu nehmen?« platzte sie wütend heraus. »Ohne mich um eine Erklärung zu bitten?«
Die beiden Polizisten sahen einander hilflos an. Cagle schob seine Brille hoch und stellte einen gleichzeitig dämlichen und zornigen Gesichtsausdruck zur Schau. »Wir werden Sie später um eine Erklärung bitten. Aber wenn ich Sie wäre, würde ich so schnell wie möglich meinen Anwalt verständigen. Bedanken Sie sich bitte nicht bei uns, sondern bei Captain Hocklin.«
Sloan war klar, was er damit meinte: Hocklin wollte sie als Verdächtige behalten, egal ob sie nun schuldig war oder nicht. Wahrscheinlich hatte er die Reporterschar draußen vor der Tür schon von ihrer Verhaftung benachrichtigt und wollte es nicht riskieren, das Gesicht zu verlieren.
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, folgte sie Flynn und Cagle widerstandslos. Es war das vernünftigste, so schnell wie möglich Kirsh in seinem Hotel anzurufen und im Notfall Noah zu verständigen, falls sie den Anwalt dort nicht antraf. Paul zu kontaktieren machte im Moment noch keinen Sinn, weil er wahrscheinlich keinen Finger für sie rühren würde, bevor seine sechsunddreißig Stunden abgelaufen waren.
43
Jack Robbins lehnte sich in seinem Stuhl zurück und wartete, bis der Computer die Daten der Data Base Technologies geladen hatte, während seine Gedanken immer wieder zu
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