Farben der Sehnsucht
warte, wieso Sie mich ohne jeden Beweis verhaftet haben.«
Da Cagle gerade mit dem Straßenverkehr beschäftigt war, übernahm der auf dem Beifahrersitz sitzende Flynn das Gespräch. »Nun, wie kommen Sie denn auf den Gedanken, daß wir ohne Beweise so böse Dinge tun, wie Sie zu verhaften?«
Die hämische Arroganz in seiner Stimme ließ in Sloan für einen kurzen Moment den sehnsüchtigen Wunsch aufsteigen, ihm einen kräftigen Faustschlag zu versetzen. »Sie können gar keine Beweise haben, und zwar aus einem sehr einfachen Grund: Ich habe das Verbrechen nicht begangen.«
»Lassen Sie uns diese kleine Unterhaltung für später aufsparen, wenn wir uns dabei in die Augen sehen können«, erwiderte nun Cagle und trat aufs Gaspedal, um an einem Laster vorbeizufahren.
Der Haupteingang des Polizeigebäudes war von einem Mob von Fernseh- und Zeitungsreportern umstellt, und Sloan war sich sicher, daß Cagle und Flynn einen guten Grund hatten, wieso sie nicht einen der Hintereingänge wählten: Sie wollten der Presse ihre Beute vorführen, um ihren Erfolg schnell in der Öffentlichkeit verbreitet zu wissen.
Als Sloan einfiel, daß wahrscheinlich auch ihre Mutter in den Abendnachrichten von ihrer Verhaftung erfahren und die Bilder von ihrer Einlieferung ins Gefängnis sehen würde, wurde sie von nacktem Entsetzen gepackt. Noch schockierter aber war sie, als Flynn und Cagle sich wenig später mit ihr in einen Raum setzten und ihr eine Plastiktüte mit ihrer Dienstpistole über den Tisch zuschoben. »Erkennen Sie die wieder?«
Sloan war zunächst sprachlos, doch nachdem sie sich einigermaßen von dem ersten Schrecken erholt hatte und ihr Kopf wieder zu arbeiten begann, war sie fast erleichtert, daß sich ihre Verhaftung offenbar nur auf den Besitz dieser Waffe gründete. Sie wollte ihnen gerade sagen, daß die Waffe ihr gehörte und sie einen Waffenschein besaß, als Flynn ihr harsch das Wort abschnitt. »Raten Sie mal, wo wir sie gefunden haben: unter Ihrer Matratze! Und nun möchten wir von Ihnen wissen, wie sie dahingekommen ist.«
Sie hatte aber die Waffe in einem viel besseren Versteck verborgen als unter einer Matratze, und noch an diesem Morgen hatte sie sich versichert, daß sie noch dort lag. Verblüfft lehnte sie sich nach vorn und starrte ihre Neun-Millimeter-Glock an, bevor sie schließlich stammelte: »Ich weiß nicht, wie sie dorthin gekommen ist... Ich habe sie jedenfalls nicht dort versteckt.«
Flynns Stimme wurde plötzlich warm und freundlich, wenngleich Sloan merkte, daß sein Mitgefühl nur gespielt war. »An Ihrer Stelle würde ich lieber noch mal gut nachdenken.« Er rückte sich auf seinem Stuhl zurecht und wandte sich an Cagle. »Wieso holst du Miss Reynolds nicht ein Glas Wasser?«
»Ich will kein Glas Wasser«, sagte Sloan verärgert, doch Cagle ignorierte sie und verließ den Raum. »Ich will eine Erklärung! Sie haben die Waffe also unter meiner Matratze gefunden?«
Flynn stieß ein brüllendes Gelächter aus. »Wofür halten Sie sich, Lady? Das ist ja wohl die Höhe! Ich erkläre Ihnen jetzt mal, wie die Sache hier läuft, Miss Reynolds: Wir stellen die Fragen, Sie geben die Antworten.«
In Sloans Kopf wirbelten die Gedanken panisch durcheinander, bis schließlich einer davon Form gewann. Ohne auf seine Belehrung einzugehen, fragte sie Flynn: »Wie viele Kugeln befanden sich in ihrem Magazin?«
»Neun. Eine Kugel fehlt. Ist das nicht ein hübscher Zufall? Und wollen Sie hören, was ich glaube? Ich glaube, daß unsere Ballistikspezialisten uns bald schon mitteilen werden, daß die Kugel, die Mrs. Reynolds getötet hat, aus dieser Waffe stammt.«
Während Sloan ihn fassungslos anstarrte, lief ihr eine Gänsehaut über den Rücken. Sie hatte am Morgen zwar nachgesehen, ob die Waffe noch an ihrem Platz war, doch sie hatte es nicht für nötig erachtet, auch zu kontrollieren, ob das Magazin noch voll war. »Oh, mein Gott!« flüsterte sie.
Andy Cagle war indessen in sein Büro gegangen, hatte an seinem Schreibtisch Platz genommen und ging nun die elektronisch ermittelten Daten über Sloan Reynolds durch. Schon bei ihrer Verhaftung hatte ihn irgend etwas an ihrer Reaktion gestört, und sein Gefühl hatte sich verstärkt, als sie über den Anblick der Waffe nicht besonders erstaunt gewesen war. Während er aufmerksam den Bericht durchsah, trat Captain Hocklin hinzu, der soeben eine kurze Presseerklärung über die Verhaftung von Sloan Reynolds wegen des Mordes an ihrer Urgroßmutter
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