Farben der Sehnsucht
verfolgte sie bis in den Schlaf.
Es hatte eine unaufhörliche Klage angestimmt, daß ihre Urgroßmutter tot und ihr Mörder in Freiheit war. Es flüsterte ihr zu, daß sie geliebt und diese Liebe durch ihre eigene Schuld verspielt hatte. Mit jedem Wellenschlag schien es die Namen der Menschen aufzuzählen, die für sie unwiederbringlich verloren waren. Edith... Noah... Paris... Courtney... Douglas.
Sloan stand noch lange am Strand, die Hände in den Hosentaschen vergraben, und lauschte diesem wehmütigen Refrain, und wenngleich er sie zurück nach Hause trieb, wußte sie doch, daß sie ihm auch dort nicht entkommen konnte.
Mit gesenktem Blick überquerte sie schließlich die Straße, gepeinigt von den Erinnerungen, verfolgt vom traurigen Klagegeflüster der See. Sie war so in ihre schmerzlichen Gedanken versunken, daß sie schon fast an der Hintertür war, als sie hochsah und bemerkte, daß die Rückseite des Hauses im Dunkeln lag. Seit ihrer Rückkehr aus Palm Beach hatte sie in der Küche und im Wohnzimmer immer Licht brennen lassen, um wenigstens nicht nachts ein dunkles Haus betreten zu müssen. Sie war sich ganz sicher, daß sie auch diesmal die Lichter angelassen hatte, bevor sie zum Strand gegangen war.
Verwundert, daß ihr ihr Gedächtnis offensichtlich einen Streich spielte, wollte sie nach dem Türknauf der Hintertür greifen, als sie entdeckte, daß das kleine Fenster daneben zerbrochen war. Alarmiert riß sie ihre Hand zurück, fuhr herum, preßte sich dicht an die Hausmauer und kauerte sich dann auf den Boden.
Unter die Fenster geduckt, bahnte sie sich vorsichtig einen Weg zur Vorderseite des Hauses, wo sie bemerkte, daß das Wohnzimmerlicht noch brannte. Ihr Berufsinstinkt sagte ihr, daß ein gewöhnlicher Dieb das Haus sicher so schnell wie möglich wieder verlassen hätte, bevor seine Eigentümerin zurückkehrte. Das gelöschte Küchenlicht und eine unbe-stimmte Vorahnung gaben ihr jedoch das Gefühl, daß es sich in diesem Fall nicht um einen gewöhnlichen Einbrecher handelte.
Sie trug ihren Hausschlüssel bei sich, doch ihr Wagenschlüssel lag im Haus. Ihre Glock befand sich noch immer im Gewahrsam der Polizei in Palm Beach, während ihre Ersatzwaffe in ihrer Handtasche im Schlafzimmer lag. Falls sich wirklich ein Fremder in ihrem Haus befand, war es das einzig Sinnvolle, zu einem Nachbarn zu gehen und von dort aus die Polizei zu verständigen.
Sloan wollte sich gerade auf den Weg machen, als sie den Jaguar sah, der vor ihrem Haus parkte. Es war zweifellos Paris’ Wagen. Aber wieso sollte Paris ihr Auto hier vor aller Augen parken und dann in Sloans Haus einbrechen? Sloan fühlte, wie ihr plötzlich ein Angstschauer über den Rücken lief.
Leise schlich sie sich zurück zur Rückseite des Hauses und öffnete vorsichtig die Tür, um sich dann, dicht an die Wand gepreßt, ins Innere zu pirschen. Plötzlich glaubte sie ein Geräusch zu hören. War es nur der Wind gewesen? Oder doch ein leises Wimmern?
Sie warf einen vorsichtigen Blick in die dunkle Küche und sah, daß sie leer und die Schwingtür zum Wohnzimmer geschlossen war. Lautlos und mit angehaltenem Atem stahl sie sich in die Küche und öffnete dann die Schwingtür einen winzigen Spaltbreit, um ins Wohnzimmer zu spähen.
Paris saß ihr zugewandt am Schreibtisch und starrte mit angstverzerrtem Gesicht auf einen Mann, der Sloan den Rücken zukehrte und Paris mit einer Waffe bedrohte. In der verzweifelten Hoffnung, daß sich nur ein Mann im Raum befinden würde, schob Sloan die Tür noch etwas weiter auf.
Paris ließ sich nicht anmerken, daß sie Sloan gesehen hatte. An der Wortflut, die nun über ihre Lippen kam, konnte Sloan jedoch ablesen, daß Paris die Aufmerksamkeit des Mannes auf sich zu lenken und gleichzeitig ihre Schwester darüber zu informieren suchte, was hier vor sich ging. »Sloan wird sicher kein schriftliches Geständnis ablegen, daß sie meine Urgroßmutter umgebracht hat, nur um meinem Vater aus der Patsche zu helfen. Sie wird sich sofort darüber im klaren sein, daß Sie sie danach umbringen wollen.«
»Halt den Mund!« fauchte der Mann sie an. »Oder du wirst nicht mehr lange genug leben, um herauszufinden, ob du recht hast oder nicht.«
»Ich weiß wirklich nicht, wieso ihr drei bewaffnete Männer braucht, um eine einzige Frau umzubringen!« fuhr Paris unbeirrt fort und wurde sich vage bewußt, daß die Männer wahrscheinlich nicht nur Sloan, sondern auch sie selbst umlegen würden.
»Nun, mein Täubchen«,
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