Farben der Sehnsucht
Als wir beide Kinder waren, haben wir doch über unsere Väter geredet, und ich habe dir auch von meinem erzählt. Meine Mutter hat als Achtzehnjährige einen Schönheitswettbewerb gewonnen, und der erste Preis war eine einwöchige Reise nach Fort Lauderdale mit Unterbringung in einem Luxushotel. Carter Reynolds wohnte damals im selben Hotel. Er war sieben Jahre älter als sie, sah unheimlich gut aus und kam aus den besten Kreisen. Mom hat geglaubt, daß es Liebe auf den ersten Blick war, daß sie heiraten und zusammen glücklich werden würden. In Wahrheit hatte er nicht einmal die Absicht, sie wiederzusehen, geschweige denn sie zu heiraten. Als sich aber schließlich herausstellte, daß sie schwanger war, ließ seine angeekelte Familie ihm keine Wahl. Die nächsten paar Jahre lebten sie in der Nähe von Coral Gables, wo sie sich mit dem Wenigen durchschlugen, das mein Vater verdiente, und Mom bekam schließlich noch ein Kind. Mom war der festen Überzeugung, daß sie glücklich miteinander waren, bis dann eines Tages seine Mutter in ihrer Limousine angefahren kam und ihm die Chance bot, in den Schoß seiner glorreichen Familie zurückzukehren. Er nahm ihr Angebot sofort an. Meine Mutter war in Tränen aufgelöst, doch statt sich ihr gegenüber wenigstens verständnisvoll zu zeigen, behauptete Reynolds’ Mutter auch noch, es sei egoistisch von ihr, nicht nur ihren Mann sondern auch noch die beiden Kinder behalten zu wollen. Sie überredeten sie schließlich, Paris für eine Weile auf Besuch zu ihm nach San Francisco mitkommen zu lassen. Dann ließen sie sie ein Dokument unterschreiben, in dem sie der Scheidung zustimmte. Sie wußte nicht, was im Kleingedruckten stand, nämlich daß sie damit alle ihre Rechte auf Paris abtrat. Sie machten sich einfach in der Limousine auf und davon, drei Stunden nachdem seine Mutter angekommen war. Ende der Geschichte.«
In Saras Augen standen Tränen der Wut und des Mitgefühls für Kim, während sie wie gebannt an Sloans Lippen hing. »Ich erinnere mich jetzt, daß du mir diese Geschichte vor langer Zeit schon einmal erzählt hast«, sagte sie dann. »Aber ich war damals zu jung, um zu verstehen wie... verantwortungslos sie gehandelt haben und welchen Schmerz sie euch damit zufügten.«
Sloan war erleichtert, daß Sara ihre Reaktion auf Carters Anruf nun besser verstehen würde. »Und jetzt, wo du alles weißt, sag mir eins: Würdest du dich noch als Verwandte dieses Mannes und dieser Familie fühlen? Könntest du vergessen, was er dir angetan hat?«
»Ich würde den Bastard wahrscheinlich umbringen«, erwiderte Sara mit einem leisen Lachen.
»Das wäre eine gesunde Reaktion - und >Bastard< ist eine treffende Bezeichnung für diesen Mann«, stimmte Sloan zu, während sie zwei Teller mit Thunfischsandwiches auf den Tisch stellte. »Da meine Mutter sich weigerte, ihn umzubringen, und da ich selbst zu jung war, um es für sie zu tun«, fügte sie leichthin hinzu, »und da es sie unendlich traurig machte, über meine Schwester oder über diesen unseligen Tag auch nur zu sprechen, beschloß ich als Sieben- oder Achtjährige, daß wir in Zukunft einfach so tun würden, als hätten die beiden nie existiert. Schließlich hatten wir immer noch einander, und dann gab es ja auch noch dich. Wir waren eine ganz phantastische Familie, die niemanden brauchte.«
»Ja, das waren wir... und wir sind es noch«, bestätigte Sara gerührt. »Konnte Kim denn gar nichts unternehmen, um Paris zurückzubekommen?«
Sloan schüttelte den Kopf. »Mom setzte sich mit einem Rechtsexperten in Verbindung, und er sagte uns, daß ein Prozeß uns ein Vermögen kosten würde. Selbst mit einem hochkarätigen Anwalt hätten wir kaum Aussichten gehabt, zu gewinnen. Mom hat sich schließlich eingeredet, daß Paris bei den Reynolds’ ein wundervolles Leben in Luxus hat, das sie selbst ihr nie bieten hätte können.«
Sloan hatte versucht, gelassen zu bleiben, doch nun fühlte sie plötzlich Wut und Enttäuschung in sich aufsteigen. In der Vergangenheit hatte sie die Demütigung ihrer Mutter oft schmerzhaft nachempfunden und ihren Vater zutiefst verachtet. Jetzt, da sie als erwachsene Frau die Geschichte noch einmal rekapitulierte, empfand sie eher Stolz als Scham; doch plötzlich wurde sie erneut von so heftigem Mitgefühl für ihre Mutter übermannt, daß es schmerzte. Für ihren Vater - diesen herzlosen, egoistischen, grausamen Zerstörer von Kimberlys Träumen - fühlte sie nun nicht mehr nur Verachtung,
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