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Farben der Sehnsucht

Titel: Farben der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith McNaugth
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gewesen - und nicht etwa ihre eigene Mutter-, die ihre ersten Kunstwerke gelobt hatte. Im Jahr darauf waren die beiden Mädchen gemeinsam in den Kindergarten gekommen und hatten sich am ersten Tag ängstlich an der Hand gehalten, um einander Mut zu machen, während sie auf dem Rücken den gleichen Snoopy-Rucksack trugen, den Kim gleich in zweifacher Ausfertigung für sie gekauft hatte.
    Als sie das erste Mal mit einer Zeichnung nach Hause kamen, die sie im Kindergarten angefertigt hatten, hatte Kimberly Sloans Zeichnung an ihren Kühlschrank geheftet. Doch als die beiden Mädchen nach nebenan liefen, um Saras Mutter mit der Zeichnung ihrer Tochter zu überraschen, warf Mrs. Gibbon sie unachtsam auf den Tisch, wo sie auf dem runden, nassen Fleck landete, den ihr Whiskeyglas dort hinterlassen hatte. Sloan versuchte ihr zu erklären, daß Sara für ihr Werk von der Kindergärtnerin mit einem Stern ausgezeichnet worden war, doch Mrs. Gibbon schrie sie nur an, sie solle ihren Mund halten. Sara hatte vor Angst und Demütigung geweint, aber Sloan dachte nicht daran zu weinen und schien auch keine Angst zu haben. Statt dessen griff sie nach Saras Zeichnung, nahm ihre Freundin resolut an der Hand und führte sie wieder zu sich nach Hause. »Saras Mommy hat keinen guten Platz, um ihr Bild aufzuhängen«, erklärte Sloan ihrer Mutter mit einer stolzen, wenn auch leicht zitternden Kinderstimme. Dann griff sie nach dem Klebstreifen und hängte Saras Bild neben das ihre. »Wir werden sie einfach beide hierbehalten, nicht wahr, Mommy?« sagte sie fest, während sie mit ihrer kleinen Hand noch einmal auf das Bild patschte, um ganz sicherzugehen, daß es sich nicht ablösen würde.
    Sara hatte den Atem angehalten, voller Angst, daß Mrs. Reynolds ihren kostbaren Platz nicht für ein Bild hergeben wollte, das Saras eigene Mutter verweigert hatte. Kimberly jedoch nahm die beiden kleinen Mädchen in den Arm und konstatierte, daß das eine sehr gute Idee sei.
    Die Erinnerung an diese Episode hatte sich für immer in Saras Gedächtnis gegraben, denn seither hatte sie sich nie mehr ganz und gar allein gefühlt. Es war nicht das letzte Mal gewesen, daß ihre Mutter ihr Leid zugefügt hatte, und auch nicht das letzte Mal, daß Sloan ihre eigene Wut und ihre eigenen Tränen unterdrückt hatte, um für Sara oder einen anderen Menschen einzutreten. Es war auch nicht das letzte Mal gewesen, daß Kimberly sie beide getröstet oder ihnen beiden Schreibsachen für die Schule gekauft hatte, die sie sich eigentlich gar nicht leisten konnte. Aber es war sehr wohl das letzte Mal gewesen, daß Sara sich wie eine hilflose und verängstigte Außenseiterin in einer verwirrenden und grausamen Welt gefühlt hatte, in der jeder Mensch jemanden hatte, an den er sich wenden und dem er vertrauen konnte -außer ihr selbst.
    In den folgenden Jahren waren die Kinderzeichnungen an Kimberlys Wänden durch Schulzeugnisse und Klassenfotos ersetzt worden. Statt Malbüchern und Wachsmalkreiden lagen nun Algebrabücher und Schulaufsätze auf dem Tisch, und die Gesprächsthemen kreisten nicht nur um gemeine Lehrer und brutale Jungs, sondern oft auch um das liebe Geld, von dem nie genug da war. Als Sloan und Sara zu Teenagern herangewachsen waren, merkten die beiden, daß Kimberly einfach nicht mit Geld umgehen konnte, und von diesem Zeitpunkt an übernahm Sloan an ihrer Statt die Haushaltsplanung, wobei dieser Rollenwechsel nicht nur die finanzielle Seite betraf. Eine Sache aber blieb über all die Jahre hinweg konstant und wurde zur unumstößlichen Sicherheit: Sara wußte, daß sie ein Teil dieser Familie war und von Kimberly und Sloan über alles geliebt wurde...
    Als sie sich nun langsam am Küchentisch niederließ, dachte Sara unwillkürlich an den Küchentisch, an dem sie unzählige Male mit Sloan und Kimberly gesessen hatte. Es enttäuschte sie zutiefst, daß die beiden sie aus einem so bedeutenden Familiengeheimnis ausgeschlossen hatten.
    Sloan wandte sich um und wiederholte ihre Frage, da Sara ihr nicht geantwortet hatte. »Du möchtest doch ein Sandwich, oder?«
    »Es geht mich vielleicht nichts an«, begann Sara statt einer Antwort und fühlte sich zum ersten Mal, seit sie Sloan und Kimberly kannte, wie eine Außenseiterin, »aber könntest du mir bitte sagen, wieso du mir das mit deinem Vater so lange verheimlicht hast?«
    Sloan hielt erstaunt inne, als sie die Verletztheit in Saras Stimme wahrnahm. »Aber es war doch gar kein großes Geheimnis, wirklich nicht.

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