Farben der Sehnsucht
weil sie es in ihrer Kindheit nicht anders gelernt hatte, zum anderen weil ihr bescheidenes Polizistengehalt ihr gar keine andere Wahl ließ. Falls sie eines Tages einen Haufen Geld verdienen sollte, würde sie es sicherlich auch ausgeben. Nun, jedenfalls einen Teil davon.
Paul war froh, daß seine aufmunternden Worte sie ein wenig entspannt hatten, und er überließ sie nun wieder ihren eigenen Gedanken. Als sie sich aber immer mehr der Ausfahrt nach Palm Beach näherten, beschloß er, sie in die Realität zurückzuholen. Nachdem er sie zuvor auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht hatte, daß ihre Verwandten durchaus menschliche und vielleicht sogar liebenswerte Geschöpfe waren, mußte er sie nun wieder daran erinnern, daß sie ihrem Vater vorläufig kein Vertrauen schenken durfte. »Wir werden bald am Haus deines Vaters ankommen«, sagte er. »Ich habe dir gerade geschildert, wie die Sache im günstigsten Fall ausgehen könnte. Ich fürchte, wir müssen uns nun aber auch mit dem ungünstigsten Fall beschäftigen. Laß uns nochmals unsere Geschichten durchgehen, damit wir nachher unseren Job vernünftig machen können.«
Sie wandte sich auf ihrem Sitz um und schenkte ihm ihre volle Aufmerksamkeit. »Okay, schieß los.«
»Wir haben uns vor fünf Monaten in Fort Lauderdale kennengelernt, wo ich ein Versicherungsseminar und du ein Polizeiseminar besuchtest«, erklärte er. »Mein Vater heißt Clifford, meine Mutter hieß Joan. Sie ist vor einigen Jahren gestorben. Ich war ein Einzelkind. Ich bin in Chicago aufgewachsen und habe an der Loyola University meinen Abschluß gemacht. Ich lebe immer noch in Chicago und arbeite für Worldwide Underwriters Inc. Wir beide hatten wegen der großen Entfernung zwischen unseren Wohnorten bisher kaum die Möglichkeit, viel Zeit miteinander zu verbringen, und daher war es uns auch so wichtig, unseren zweiwöchigen Urlaub gemeinsam zu verleben.« Da die nächste Ausfahrt Palm Beach sein würde, reihte er sich in die rechte Spur ein. »Ist bis hier alles klar?«
Sloan nickte. Sie hatten all dies schon bei ihrem letzten Treffen besprochen, aber nun konnte sie ihre Neugier nicht mehr zurückhalten. »Ist irgendwas von all dem wahr?«
»Nein«, erwiderte er in einem Ton, der jede weitere Frage nach seiner wahren Identität ausschloß. »Meine Tarnung ist sicher genug, um standzuhalten, falls Reynolds mir aus irgendwelchen Gründen hinterherspionieren sollte. Aber soweit wird es voraussichtlich gar nicht kommen. Da wir einander noch nicht lange kennen, wird deine Familie sicher nicht mißtrauisch werden, wenn du viele Dinge über mich nicht weißt. Sie werden sowieso nicht besonders an mir interessiert sein und mir daher kaum Fragen stellen. Falls sie es aber doch tun, werde ich Antworten parat haben. Wenn ich gerade nicht in der Nähe bin, kannst du sagen, was du willst, aber vergiß nicht, mich später auf den neuesten Stand zu bringen. So, nun sollten wir uns aber deiner Geschichte zuwenden. Hast du dich entschieden, welchen Beruf du ausüben willst?«
»Ja.«
Sie waren sich beide darüber einig gewesen, daß Carter Reynolds besser nicht erfuhr, daß Sloan Polizistin war. Laut Pauls Informanten in San Francisco hatte Reynolds nichts über Sloans Leben gewußt, als er Kimberly angerufen hatte, um ihre Telefonnummer zu erfragen, und es gab keinen Grund zur Annahme, daß er sich bei dem ersten Gespräch mit seiner Tochter darüber im klaren gewesen war, daß er ein Polizeirevier am anderen Ende der Leitung hatte. Paul war darüber sehr erleichtert. »Es ist wirklich ein großes Glück für uns, daß deine Mutter bei seinem Anruf keine Gelegenheit hatte, ihm etwas über dich zu erzählen.«
»Glück hat damit nichts zu tun. Meine Mutter hätte ihm sicher gerne alles über mich erzählt, aber in seiner Herzlosigkeit und Arroganz hat er das gar nicht erst zugelassen. In dreißig Jahren hat er sie nicht einmal angerufen, weil es ihm völlig egal ist, was sie fühlt oder denkt. Als er sich dann endlich doch bei ihr gemeldet hat, behauptete er, er habe keine Zeit für ein Gespräch und wolle nur meine Telefonnummer. Sobald er die bekommen hatte, hat er sie auf ein anderes Mal vertröstet und aufgehängt.«
»Ich verstehe.«
Sloan wollte ihn ihre Verbitterung nicht zu sehr spüren lassen. »Aber im Grunde hast du doch recht, wenn du von Glück sprichst«, sagte sie mit einem Lächeln. »Ich habe Sara später ausgefragt, ohne daß sie etwas davon gemerkt hat. Sie sagt, sie erinnere
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