Farben der Sehnsucht
wirkenden Paris noch einen aufmunternden Blick zu.
Als Sloan den Raum verlassen hatte, wies Edith auf den Stuhl, der ihr gegenüberstand. »Setz dich, Paris. Ich will genau wissen, was ihr getan und worüber ihr gesprochen habt.«
»Wir haben bei Le Gamin zu Mittag gegessen und über alles mögliche gesprochen«, erwiderte Paris, während sie Platz nahm. Etwa eine Stunde lang erzählte sie nun ihrer Urgroßmutter von ihren Gesprächen mit Sloan, wurde dabei aber immer wieder von den prüfenden Fragen der alten Frau unterbrochen. »Es war wundervoll«, schloß Paris, als das Verhör endlich vorbei war. »Ich hätte noch den ganzen Tag und die ganze Nacht so weiterreden können. Und Sloan ist es nicht anders ergangen, das weiß ich.«
»Und jetzt«, sagte Edith kühl, »wirst du wohl nach Bell Harbor fahren und deine Mutter kennenlernen wollen, nehme ich an?«
Paris, die mit einem Sturm der Entrüstung gerechnet hatte, wenn sie selbst diesen Vorschlag machen würde, war fest entschlossen, diesmal auf keinen Fall nachzugeben. »Ja, genau das möchte ich tun. Sloan hat mir alles über sie erzählt, und sie ist überhaupt nicht so, wie Vater und Großmutter sie beschrieben haben.«
»Du kennst Sloan noch nicht mal seit zwei Tagen und traust ihren Worten mehr als den ihren?«
Paris konzentrierte sich gut auf das, was sie sagen wollte, um nicht anzufangen zu stottern. »Ich weiß nicht, wem ich mehr vertraue. Aber ich will meine eigenen Erfahrungen machen und dann eine Entscheidung fällen.«
Statt ihr eine Strafpredigt zu halten, wie Paris befürchtet hatte, lehnte sich ihre Urgroßmutter auf ihrem Sofa zurück und sah sie aufmerksam an. Nach einem langen, gespannten Schweigen sagte sie schließlich: »Es scheint, daß Sloans Dreistigkeit und Starrköpfigkeit ansteckend ist.«
»Ich hoffe es«, sagte Paris und hob stolz den Kopf.
»Falls du noch einen Rat von mir hören willst: Ich würde vorschlagen, daß du deinem Vater nichts von deinen neuen Erkenntnissen über deine Mutter mitteilst.«
Paris nickte und stand auf. »Kann ich jetzt gehen?«
»Selbstverständlich«, erwiderte Edith.
Edith Reynolds sah ihr nach und saß dann einige Minuten lang völlig bewegungslos da und ließ ihre Gedanken schweifen; dann griff sie nach dem Telefon neben ihrem Sofa und wählte eine Nummer. »Ich habe Arbeit für Sie, Wilson«, sagte sie zu dem Mann am anderen Ende der Leitung. »Es handelt sich um eine Sache, die sehr eilig ist und sehr diskret behandelt werden muß.« Dann teilte sie ihm mit, was sie von ihm wollte.
22
»Wie war euer Tag?« fragte Noah, als er ins Wohnzimmer trat, wo sein Vater gerade einen alten John-Wayne-Film ansah und Courtney mit Kopfhörern auf den Ohren in einem Sessel lümmelte und eine Zeitschrift durchblätterte. Als sie ihren Bruder bemerkte, nahm sie die Kopfhörer ab, und auch Douglas wandte ihm seine Aufmerksamkeit zu.
»Mein Tag war todlangweilig«, beklagte sich Douglas im bekümmerten Ton eines Invaliden, der von seiner Umwelt erwartete, daß sie ihn für sein Schicksal bedauerte. »Ich habe gelesen und ein Nickerchen gemacht. Wo bist du denn den ganzen Nachmittag gewesen?«
»Ich habe heute früh bei Carter vorbeigeschaut, um ihm einige Papiere zu bringen; dann mußte ich noch ein paar Besorgungen erledigen und habe mich anschließend mit Gordon Sanders getroffen.«
»Ich traue Sanders nicht über den Weg«, erklärte Douglas. Dann fragte er neugierig: »Hast du bei Carter auch Sloan getroffen?«
»Ja, das habe ich«, erwiderte Noah schmunzelnd. »Als ich dort eintraf, hatte er sie gerade zu einem kleinen Kampf herausgefordert, um sich demonstrieren zu lassen, was sie in dem Selbstverteidigungskurs gelernt hat, den sie angeblich besucht hat.«
»Es ist eine traurige Sache, daß Frauen Selbstverteidigungskurse besuchen müssen, um sich auf unseren Straßen sicher zu fühlen! Arme kleine Sloan. Sie ist so niedlich und friedliebend wie eine Taube.«
»Deine süße kleine Taube hat Carter auf seinem Hintern landen lassen. Zweimal sogar.«
Douglas starrte ihn mit offenem Mund an. »Wirklich? Nun, trotzdem tun mir die Frauen von heute leid. Stell dir mal vor, du müßtest in der ständigen Angst leben, überfallen und beraubt oder sogar vergewaltigt zu werden.«
Noah kicherte amüsiert. »In Sloans Fall sollte dein Mitleid eher dem Übeltäter gelten. Ich vermute, daß sie einen schwarzen Gürtel in Karate hat, nach allem, was sie mit Carter angestellt hat.« Er warf einen Blick auf
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