Farben der Sehnsucht
einer Theaterparty kennengelernt. Zwei Monate später haben wir beschlossen zu heiraten.«
Sloan nahm sich auch eine Scheibe Weißbrot und sah ihre Schwester erwartungsvoll an. »Was ist dann passiert?«
»Am Tag nachdem wir uns verlobt hatten, fand Vater heraus, daß er eine geschiedene Frau und zwei Kinder hatte, die in Paris wohnten. Die Tatsache an sich hätte mir nichts ausgemacht, aber er hatte mich belogen und mir gesagt, daß er noch nie verheiratet war.«
»Das muß furchtbar für dich gewesen sein.«
»Zuerst schon... Vater hatte ihm von Anfang an nicht über den Weg getraut.«
Sloan konnte sich lebhaft vorstellen, wie wenig Mitgefühl Carter Reynolds seiner Tochter entgegengebracht hatte, und es machte sie wütend und traurig, daß weder sie selbst noch ihre Mutter bei ihr gewesen waren, um ihr über die Enttäuschung hinwegzuhelfen. »Wie hat dein Vater sein Geheimnis entdeckt?«
»Er ist auch dein Vater«, rief ihr Paris mit einem bezaubernden Lächeln ins Gedächtnis. »Als Henry und ich anfingen, uns regelmäßig zu treffen, begann Vater, Erkundungen über ihn einzuziehen. Die Nachricht aus Europa traf aber erst ein, als wir unsere Verlobung schon bekanntgegeben hatten.«
Sloan versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie Carter Reynolds’ ehrlichen Motiven bei der Überwachung seiner Familie mißtraute. »Macht er das öfter, daß er deinen Freunden hinterherspioniert?«
Zu Sloans Überraschung nickte Paris mit einer Selbstverständlichkeit, als hielte sie das für das normalste Verhalten, das ein Vater seinem Kind gegenüber an den Tag legen konnte. »Er überwacht nicht nur meine Freunde, sondern auch andere Leute, die er noch nicht gut kennt und die viel Zeit bei uns zubringen. Vater glaubt, man müsse Menschen gegenüber sehr vorsichtig sein. Er schenkt nur schwerlich jemandem sein Vertrauen.« Sie betrachtete versonnen das Stück Weißbrot in ihrer Hand und blickte dann wieder Sloan in die Augen. »Sprechen wir lieber über etwas anderes. Meine geplatzte Verlobung ist sicher nicht besonders interessant für dich.«
Die Stunden danach vergingen wie im Flug. Ihre Gespräche verliefen manchmal zögerlich, manchmal offen und spontan, aber die wachsende Zuneigung zwischen den beiden Frauen war tief und ehrlich empfunden. Noch gestern hatten sie einander nicht gekannt, doch jetzt merkten sie, daß zwischen ihnen beiden ein Band bestand, das immer dagewesen war. Sie vergaßen alles um sich her und bemerkten nicht einmal die Männer, die ihre bewundernden Blicke nicht mehr von der bezaubernd schönen Dunkelhaarigen und der hinreißend attraktiven Blonden an ihrem Tisch unter dem gestreiften Sonnenschirm losreißen konnten. Sloan und Paris Reynolds waren viel zu beschäftigt damit, eine Brücke über die vergangenen dreißig Jahre zu errichten.
20
Als sie auf dem nachmittäglichen Nachhauseweg neben Paris im Wagen saß, hatte Sloan das wunderbare Gefühl, daß die Magie der letzten Stunden eine neue Schönheit über ganz Palm Beach gelegt hatte. Der Himmel über ihnen war noch blauer als zuvor, und die weichen weißen Wolken schienen ihr so malerisch wie noch nie. Der Ozean war noch majestätischer geworden, und der Strand noch hübscher. Alle Farben hatten eine ganz neue Lebhaftigkeit bekommen, alle Geräusche klangen in ihren Ohren wie Musik, und die Seeluft in ihrem Gesicht war nicht mehr nur erfrischend, sondern eine unbeschreibliche Wohltat.
Gestern noch waren Paris und sie Fremde gewesen, ja hatten einander sogar für Feinde gehalten; nun waren sie Schwestern geworden und betrachteten einander als Verbündete. Als Sloan ihre Schwester nun lange ansah, antwortete diese ihr mit einem Lächeln, in dem dasselbe Staunen und dieselbe Freude lagen, die auch Sloan empfand.
»Wir hatten gar keine Zeit, um über dich und Paul zu sprechen«, sagte Paris, als sie schon fast zu Hause waren. »Ist es etwas Ernstes zwischen euch?«
Sloan zögerte, da sie plötzlich von dem schrecklichen Gedanken überfallen wurde, daß die wunderbare, aber noch zaghafte Bindung zwischen ihr und Paris bald schon aufs Spiel gesetzt werden würde - und zwar durch die Lügen, die sie und Paul noch eine Weile aufrechterhalten mußten. Falls Pauls Verdacht gegen Carter sich nicht bestätigte, konnte sie l'aris vielleicht wenigstens mit der Wahrheit über die Gründe verschonen, die sie nach Palm Beach geführt hatten.
In diesem Fall mußte sie sich nur etwas einfallen lassen, um zu erklären, wieso sie ihrer
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