Farlander - Der Pfad des Kriegers - Buchanan, C: Farlander - Der Pfad des Kriegers - Farlander
fleischige Gesicht des Mannes glänzte scharlachrot, als ob er den ganzen Weg bis nach Hause gerannt wäre, um seine Botschaft überbringen zu können. Pathia war gefallen, teilte er allen atemlos mit. Pathia, der unmittelbare Nachbar im Süden, war der traditionelle Feind von Khos und der Grund, warum damals der Schild überhaupt errichtet worden war. Bei den Worten des Kaufmanns wurde es still im Schankraum. Die Männer hörten ihm gleichermaßen verwundert und schockiert zu. König Ottomek V., der verachtete einunddreißigste Monarch aus dem königlichen Geschlecht derer von Sanse, war dumm genug gewesen, sich lebendig gefangen nehmen zu lassen. Die Mhannier hatten ihn schreiend davongeschleppt und hinter einem galoppierenden weißen Pferd durch das eroberte Bairat geschleift, bis ihm die Haut fast ganz von den Knochen gescheuert worden war – Ohren, Nase und Genitalien hatte man ihm bereits vorher abgeschnitten. Als der König dem Tode nahe gewesen war, hatte man ihn in einen Brunnen geworfen, wo er sich eine ganze Nacht lang an sein Leben geklammert
hatte, während die Mhannier über seine Rufe um Gnade nur gelacht hatten. Bei Anbruch der Morgendämmerung hatten sie den Brunnen mit Steinen aufgefüllt.
Selbst unter den härtesten Männern im Schankraum rief ein solches Schicksal gemurmelte Flüche und Kopfschütteln hervor. Bahm bekam große Angst, denn das war für sie alle eine schlechte Nachricht. Seit er denken konnte, hatten die Mhannier Nation nach Nation um das Binnenmeer von Midèrēs erobert. Nie zuvor waren sie Khos so nahe gekommen. Um ihn herum wurden die Debatten immer lauter: Rufe, Streitgespräche, schwache Versuche, den einen oder anderen Scherz zu machen. Bahm drängte sich nach draußen. Er eilte nach Hause, zurück zu seiner Frau, mit der er seit einem knappen Jahr verheiratet war. Er stolperte die Treppe zu ihrem kleinen, feuchten Zimmer über dem öffentlichen Badehaus hoch und stieß die Neuigkeiten in einer verzweifelten, trunkenen Tirade aus. Sie versuchte, ihn mit sanften Worten zu beruhigen, und dann machte sie ihm einen Chee, wobei ihre Hände erstaunlich ruhig blieben. Bahms Verstand brauchte eine Ruhepause, und so liebten sie sich langsam und leidenschaftlich auf dem knarrenden Bett, während Marlee ihren Blick starr auf ihn gerichtet hielt.
Später in jener Nacht standen sie gemeinsam auf dem Flachdach des Hauses und lauschten mit dem Rest der Bürger von Bar-Khos den Rufen der Flüchtlinge, die in die Stadt eingelassen werden wollten; Tausende von ihnen hatten sich gegen die Mauern gedrängt. Von anderen Dächern aus forderten die Bewohner lauthals, man
möge die Tore öffnen; andere verlangten in heißem Zorn, die Pathier verrotten zu lassen. Marlee betete still für die armen Seelen und flehte leise Erēs, die große Weltenmutter an, wobei ihre geschminkten Lippen unter dem seltsamen Licht des Doppelmondes über dem Süden schwarz wirkten. Gnade, gütige Erēs, lass sie ein, lass sie hier Zuflucht finden .
Es war General Glaub persönlich, der am nächsten Morgen befahl, die Tore zu öffnen. Die Flüchtlinge strömten in die Stadt und brachten Geschichten über ein großes Abschlachten und Verbrennen von ganzen Dörfern mit, die sich gegen die Eindringlinge zur Wehr gesetzt hatten.
Trotz dieser alarmierenden Berichte betrachteten sich die meisten Einwohner von Bar-Khos als jenseits jeglicher Gefahr. Der große Schild würde sie schützen. Außerdem hatten die Mhannier genug mit dem jüngst eroberten Süden zu tun.
Bahm und Marlee führten ihr gewöhnliches Leben so gut wie möglich weiter. Marlee erwartete wieder ein Kind und schonte sich, da sie keine erneute Fehlgeburt riskieren wollte. Sie trank Kräutertee, den die Hebamme ihr gegeben hatte, saß stundenlang am Fenster und beobachtete die geschäftige Straße unter ihr, wobei sie die Hand schützend über ihren Bauch hielt. Manchmal kam ihr Vater zu Besuch, der stets in seiner stinkenden Rüstung steckte. Er war ein Riese von einem Mann mit einem harten, reglosen Gesicht, der sie mit altersschwachen Augen ansah. Seine Tochter war ihm kostbar, und er und Bahm stritten sich oft wegen ihr, bis sie schließlich
die Geduld verlor und die beiden anfuhr. Doch auch das brachte sie nicht lange zum Schweigen.
Vier Monate später kam die Nachricht von einer herannahenden Reichsarmee. Die Stimmung in der Stadt veränderte sich deswegen nicht. Schließlich gab es sechs Mauern, die hoch und dick genug waren, um sie alle zu
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