Farlander - Der Pfad des Kriegers - Buchanan, C: Farlander - Der Pfad des Kriegers - Farlander
hinter ihr.
Der Priester Meelas, Sascheens persönlicher Verwalter, stand mit geneigtem Kopf etwa ein Dutzend Fuß vom Altar entfernt. Er hielt den Blick auf den Marmorboden gerichtet, als ob er weder die kniende Gestalt seiner Matriarchin noch die ihrer Mutter ansehen wollte, die auf einem hölzernen Schemel neben ihr saß.
Sascheen hörte ihn nicht, obwohl der Widerhall seiner Stimme noch eine Weile zurückblieb und sich endlich einen Weg durch ihren Kummer bahnte.
»Was?«, fragte sie geistesabwesend.
»Ihr habt nach mir gerufen, Matriarchin.«
Sascheen fuhr sich mit der Hand über die Augen, und einen Moment lang wurde ihr Blick klar. Sie betrachtete die leblose Gestalt ihres Sohnes wie zum ersten Mal. Nun war sie nur noch eine bloße Hülle, leer und jeder Bedeutung beraubt. Nur ganz kurz vermochte sie in sein Gesicht zu blicken, das von Grauen verzerrt war.
Etwas regte sich in ihr. Es war zu sehen, wie sie den Rücken durchdrückte.
»Alles soll anhalten«, sagte sie mit kaltem Flüstern.
»Alles, Matriarchin?«
» Alles «, wiederholte sie. In ihren Worten lag eine stärker
werdende Kraft, die ihren Tränen widersprach. »Die Häfen und Brücken. Jeder Transport. Springbrunnen. Tempel. Unterhaltungen. Arbeit … wenn ein Bettler die Hand nach Geld ausstreckt, soll sie ihm abgehackt werden. Ich will, dass alles stehen bleibt. Hast du mich verstanden? «
Zitternd holte Sascheen Luft und atmete den Lotosduft ein. »Mein Sohn ist tot«, sagte sie, »und alle sollen ihm die Ehre erweisen.«
Der Verwalter Heelas rang die Hände und erlaubte sich, einige Herzschläge abzuwarten, bis er sagte: »Was ist mit dem Augere, Matriarchin? «
Sie hatte die bevorstehende Woche der Feiern vergessen.
»Ja«, sagte Sascheen düster. »Auch das. Alles. Wir werden das Augere zu geeigneter Zeit feiern.«
Das Schweigen des Verwalters entsprang tiefstem Erstaunen. Aber er blieb gefasst und neigte den rot gewordenen Kopf noch tiefer.
»Ist das … alles?«
»Alles? Nein, das ist nicht alles, Heelas. Ich will, dass diese Stadt auseinandergerissen wird. Ich will, dass die Mörder gefunden und lebend zu mir gebracht werden. Sage Buschrali, dass ihm eine neue Laufbahn bevorsteht, wenn seine Regulatoren meinen Befehl nicht erfolgreich ausführen. Dann wird er als Eunuch in einem unserer Sentiatenharems dienen. Ist das klar?«
»Vollkommen, Matriarchin.«
»Dann geh. «
Der Mann lief mit uncharakteristischer Eile davon.
Sascheens Fäuste zitterten, wie sie feststellen musste. Sie ballte sie noch fester.
»Beruhige dich, mein Kind. Beruhige dich.«
Die Matriarchin Sascheen wandte sich an ihre Mutter. »Ich soll mich beruhigen? Mein Sohn ist tot, und du sagst mir, ich soll mich beruhigen? Für diese Worte sollte ich dich von hier wegschleppen und bei lebendigem Leibe verbrennen lassen.«
Die alte Frau saß auf einem einfachen hölzernen Hocker und hatte die beinahe durchscheinenden Hände gefaltet. »Wenn du dich dann besser fühlst, soll es so sein, meine Liebste. «
Einen Herzschlag lang dachte Sascheen tatsächlich darüber nach.
Ihre Hand fiel schlaff herunter. Sie drehte sich wieder zu ihrem Sohn um, der keine Armeslänge von ihr entfernt auf dem Altar lag, seinem letzten Ruheplatz vor der Beisetzung in der trockenen Gruft von Hypermorum.
Sascheen bemerkte etwas auf seiner Brust. Sie griff danach; ihre langen Fingernägel schwebten einen Augenblick in der Luft. Dann pflückte sie es von der bleichen Haut und packte dabei auch eines der flaumigen Haare auf seiner Brust. Sie betrachtete ihre Fingerspitzen. Darin befand sich eine Wimper.
Sie erzitterte unter Sascheens Atem, flatterte davon, außer Sichtweite.
Mein Sohn ist tot , dachte sie.
Einen Schmerz wie diesen hatte Sascheen noch nie verspürt. Es war eine Art Wahnsinn, wie jener, der sich
im Bauch breitmachte, wenn man erkannte, dass man etwas Lebenswichtiges vergessen hatte und es nun zu spät war, noch etwas daran zu ändern. Doch dieses Gefühl war so andauernd und stark, dass es sie in jedem wachen Augenblick und auch in jedem schlafenden verzehrte; es war ein kreischendes, zerreißendes, animalisches Grauen, das sie zu ersticken drohte, wenn sie sich seiner nicht irgendwie entledigte.
Feuchtigkeit tropfte an ihren Handflächen herunter. Ihre Nägel hatten sich so tief ins Fleisch gegraben, dass Blut ausgetreten war.
»Beruhige dich, mein Kind«, ertönte wieder die Stimme der alten Frau neben ihr. »Du bist die Matriarchin. Du bist das größte
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