Farmer, Philip José - Flusswelt 02
setzen. Dann würde sich Sam Clemens, angetan mit einem weißen Kilt, ein weißes Tuch über der Schulter und eine ebensolche Mütze tragend, eine riesige grüne Zigarre rauchend über die um die Brücke führende Reling lehnen und brüllen: Packt zu, ihr Landratten! Ergreift diese Ausgeburt der Unmoral und Hinterlist an Arsch und Kragen und laßt ihn über die Planke laufen. Es ist mir Wurscht, ob er im Wasser oder auf dem Uferstreifen landet. Werft allen Müll über Bord!
Und dann würde der famose Prinz John iml hohen Bogen über die Reling des Maschinendecks segeln. Schlauberger-John hätte dann alle Gelegenheiten, in seinem französischakzentuierten Mittelenglisch, in anglonormannischem Französisch oder Esperanto aufzukreischen. Schließlich würden die Männer die Planke wieder einziehen, Glocken läuten, Pfeifsignale geben, und Sam Clemens, der genau hinter dem Steuermann stand, würde das Kommando zum Start der Reise geben.
Die Reise! Ein Flußbett hinauf, das zehn oder zwanzig Millionen Meilen lang war. Es konnte gut möglich sein, daß sie vierzig oder gar hundert Jahre unterwegs waren. Man hatte auf der Erde weder von solch einem Schiff noch von solch einem Fluß, geschweige denn von einer Fahrt dieses Formats zu träumen gewagt. Ja, es würde den Fluß hinaufgehen, den einzigen, den es auf diesem Planeten gab, auf einem Schiff, wie es nur einmal existierte, mit Sam Clemens als La Sipresto, dem Kapitän, den man auch als La Estro, den Boß, bezeichnen würde.
Junge, er war wirklich glücklich!
Und dann, gerade in dem Augenblick, als das Schiff sich auf die Flußmitte zubewegte, um die Strömung auszuprobieren, die hier ganz besonders stark war, als Tausende von Menschen, die den Stapellauf von beiden Ufern verfolgt hatten, ihm zuwinkten und sich die Kehlen vor Begeisterung heiser schrien, sah Samuel Langhorne Clemens alias Mark Twain – der Kapitän, der Boß – einen Mann mit langem blonden Haar und breiten Schultern, der sich rücksichtslos seinen Weg durch die Menge bahnte.
Der Mann trug ein von Magnetverschlüssen zusammengehaltenes, wie ein Kilt wirkendes Gewand. Die Ledersandalen an seinen Füßen waren aus der Haut eines Drachenfisches gemacht. Um seinen muskulösen Hals schlang sich eine Kette aus glänzenden, bunten Hornfischgräten. Seine gewaltige Hand hielt den hölzernen Schaft einer großen, eisernen Axt umklammert. Blaßblaue Augen funkelten Sam an wie die eines Todesengels. Die Nase des Mannes glich der eines Habichts.
Schneller! Schneller! schrie Sam den Rudergänger an. Volle Kraft voraus!
Aber die mächtigen Schaufelräder griffen eher gemütlich ins Wasser hinein. Tschugg, tschugg, tschugg. Und selbst durch das fiberglasisolierte Deck konnte man die sanften Vibrationen spüren. Und dann war der blonde Mann, der Erik Blutaxt hieß und ein Wikingerkönig aus dem zehnten Jahrhundert war, ganz übergangslos zwischen ihnen auf der Brücke.
Er schrie Sam Clemens in Altnorwegisch zu: Verräter! Du Spottgeburt aus Dreck und Feuer! Erinnerst du dich, daß ich dir versprach, irgendwo am Flußufer auf dich zu warten? Du hast mich hintergangen, weil du das Eisen aus dem heruntergefallenen Stern für dich allein haben wolltest! Du wolltest das Schiff mit niemandem teilen!
Sam floh, ließ die Brücke hinter sich, kletterte eiserne Leitern hinab, bis er sich in den halbdunklen Gängen der Maschinenräume wiederfand, aber stets war Erik Blutaxt nur zwei Schritte hinter ihm.
Er rannte an den überdimensionalen Elektromotoren vorbei, und dann war er plötzlich in den chemischen Laboratorien, wo die Ingenieure dabei waren, aus menschlichen Exkrementen Salpeter herzustellen, das sie mit Holzkohle und Schwefel mischten, um daraus Schießpulver herzustellen. Sam nahm sein Feuerzeug, riß eine Pechfackel an sich, ließ eine kleine Flamme auflodern und hielt seinem Verfolger die Fackel entgegen.
Halt, oder ich jage das ganze Schiff in die Luft! schrie Sam.
Erik blieb zwar stehen, aber er schwang ununterbrochen die große Axt über seinem Kopf. Dann grinste er und sagte: Tu’s doch! Dir fehlt ja doch der Mumm dazu! Du liebst dieses Schiff mehr als alles andere auf dieser Welt – mehr noch als deine entzückende Livy! Du würdest es doch niemals zulassen, daß es in die Luft geblasen wird! Nichts wird mich davon abhalten, dir jetzt den Schädel zu spalten und dann das Schiff an mich zu reißen!
Nein! schrie Sam. Nein! Das darfst du nicht! Das kannst du nicht tun! Dieses Schiff ist meine ganze
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