Farmer, Philip Jose - Flusswelt 03
existiert am Nordpol ein See, der von einer kreisförmigen Bergkette umgeben ist, neben der der Mount Everest lediglich eine Erdaufschüttung wäre. Der See entspringt aus einem Loch am Fuße dieses Gebirges, wird zu einem Fluß, der sich um den ganzen Planeten windet, den Südpol passiert und schließlich die andere Hemisphäre wieder hinauffließt, wobei er sich windet wie eine Schlange, Tausende von Kurven beschreibt und sich schließlich wieder in den von Bergen umgebenen Polarsee ergießt (das heißt, die Berge sind in Wirklichkeit nur einer; ihr Innenraum wirkt wie der Krater eines Vulkans).
Würde ich versuchen, eine Zeichnung des Flusses anzufertigen, müßte er aussehen wie die Midgardschlange aus der Nordischen Mythologie; ein weltumspannendes Reptil, das sich in den eigenen Schwanz beißt.
Tom sagt, daß die Gebiete in der Nähe der Mündung hauptsächlich von Eiszeitgeschöpfen bevölkert sind, und zwar frühzeitlichen Sibiriaken und Eskimos. Hin und wieder soll es auch Gruppen von modernen Alaskanern, Nordlandkanadiern und Russen dort geben. Und natürlich Leute aus allen Zeiten und Nationen.
Als der Abenteurer, der er nun einmal ist, entschloß er sich, als er in dieser Region erwachte, zur Mündung des Flusses vorzustoßen. Zusammen mit sechs anderen Männern baute er einige Kajaks und paddelte flußabwärts vom Land der Lebenden in die Ödnis einer Nebelwelt hinein. Überraschenderweise mußte er feststellen, daß trotz der ständig herrschenden Dunkelheit in dieser Zone überall Vegetation ist. Des weiteren setzten sich die Gralsteine über mehrere tausend Kilometer hinweg auch im Nebelgebiet fort. Am letzten Gralstein machte die kleine Expedition Rast, aß sich noch einmal satt und setzte dann, beladen mit Vorräten an getrocknetem Fisch, Eichelbrot, und dem, was sie sich während der Reise vom Munde abgespart hatten, den Weg ins Ungewisse fort und folgten der Strömung, die sie ihrem Ziel entgegenbringen sollte.
Während der letzten hundert Kilometer wurde die Geschwindigkeit des Flusses dermaßen stark, daß an eine Rückkehr nicht mehr zu denken war. Es hatte auch keinen Zweck mehr, sich mit aller Gewalt einen Weg ans Ufer zu erkämpfen, denn die Canyonwände, die sich zu beiden Seiten ihres Weges erhoben, waren so eng und hoch geworden, daß jeder Versuch gescheitert wäre. Es blieb den Leuten nichts anderes übrig, als auf ihren Kajaks zu essen und zu schlafen.
Es sah aus wie eine Reise ohne Wiederkehr, und genau das wurde es auch. Sie wurden in eine Grotte getrieben, die so riesig war, daß Toms Fackel nicht einmal ihre Decke oder Wände erkennen ließ. Dann schoß der Fluß mit einem schrecklichen Brüllen in einen Tunnel, in der die Decke plötzlich so niedrig wurde, daß Tom mit dem Schädel gegen sie stieß. An mehr erinnerte er sich nicht. Es stand außer Frage, daß die niedrige Decke auch seinen Kajak zerschmettert hatte.
Als er am nächsten Tag wieder zu sich kam, fand er sich irgendwo in der Südpolregion wieder.
39
(Fortsetzung von Frigates Brief)
»In der Mitte des Sees, den die Polarberge umgeben, gibt es einen Turm«, sagte Tom.
»Einen Turm?« fragte ich. »Wie meinst du das?«
»Hast du etwa noch nicht davon gehört? Ich dachte, jeder wüßte davon.«
»Ich habe niemals jemanden drüber reden hören.«
»Nun«, sagte Tom und maß mich mit einem verwunderten Blick, »dies hier ist ein ganz verdammt langer Fluß. Es kann ganz gut möglich sein, daß es noch eine Menge Gebiete gibt, in denen man die Geschichte tatsächlich noch nicht gehört hat.«
Und er versuchte mir begreiflich zu machen, daß das, um was es hier ging, wirklich nichts anderes war als das, was er sagte: eine Geschichte. Niemand hatte einen Beweis, daß sie stimmte. Der Mann, der sie Tom erzählte, konnte ebenso gut ein Lügner gewesen sein, von denen es hier ja weiß Gott nicht weniger gibt als auf der Erde. Aber zumindest konnte er sich darauf berufen, daß diese Geschichte nicht aus siebter Hand war, sondern daß er sie von einem Menschen erfahren hatte, der steif und fest behauptete, den Turm mit eigenen Augen gesehen zu haben.
Obwohl Tom diesen Mann ziemlich lange gekannt hatte, hatte dieser nie ein Wort über die Sache fallengelassen – bis zu jenem Abend, an dem er und Tom voll wie die Strandhaubitzen gewesen waren. Während der Erzählung gewann er allerdings seine Nüchternheit zurück und weigerte sich plötzlich, weiterzusprechen. Er fürchtete sich einfach.
Der Mann, ein alter
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