Farmer, Philip Jose - Flusswelt 03
bestimmte Figuren – Drachen, Rauchfische, einmal sogar ein Luftschiff – zu erkennen. Aber sobald sie sich ihnen näher zuwandte, verschwammen sie zu einer formlosen Masse.
Als sie ein metallenes Faß an sich vorbeizischen sah, wußte sie, daß sie für heute genug hatte. Also aufhören mit Schnaps und Pot für heute Abend. Das Auftauchen des Fasses erklärte sich daraus, daß Cyrano ihr von Verbrechen und ihrer Ahndung im Frankreich seiner Tage erzählt hatte. Man hatte zum Beispiel Falschmünzer auf ein großes Rad gespannt, dann brach der Henker ihm Arme und Beine mit einer Eisenstange. Hingerichtete Kriminelle wurden in Käfigen auf dem Marktplatz zur Schau gestellt, bis ihre Körper verwesten und ihre Glieder von ihnen abfielen. Hin und wieder warf man ihre Eingeweide auch in metallene Fässer, um die Bürger daran zu erinnern, was mit jenen geschah, die sich gegen die Ordnung verschworen.
»Und die Abwässer flossen durch die Straßen, Miz Gulbirra. Kein Wunder also, daß jene, die Geld hatten, beinahe in Parfüm badeten.«
»Ich dachte, man hätte sich zu dieser Zeit hauptsächlich deswegen parfümiert, weil man so selten badete.«
»Stimmt«, sagte der Franzose lächelnd. »Ich meine, es stimmt, daß man nicht sehr oft badete, weil man es für ungesund und unchristlich hielt. Aber man kann sich an ungewaschene Körper durchaus gewöhnen. Mir ist es jedenfalls nicht sonderlich aufgefallen, zumal ich ja – wie Sie sagen würden – selbst zu denen gehörte, die das alles ebenso unbewußt hinnahmen wie ein Fisch das ihn umgebende Wasser. Aber hier… wo man so wenig an Kleidung trägt und Wasser in Hülle und Fülle vorhanden ist und man so viele Leute trifft, die es nicht aushalten, unter ungewaschenen Menschen zu sein – kann man gar nicht anders, als sein Denken umzustellen. Ich muß gestehen, daß ich anfangs keinen besonderen Grund sah, mich übermäßig sauberzuhalten, aber nach einigen Jahren stieß ich auf eine Frau, in die ich mich beinahe ebenso rasch verliebte wie in meine Cousine. Sie hieß Olivia Langdon…«
»Meinen Sie etwa die Frau von Sam Clemens?«
»Aber ja. Allerdings sagte mir das gar nichts, als ich sie zum erstenmal traf, und es bedeutet auch heute noch nichts für mich. Ich hörte, er sei ein bekannter Schriftsteller aus der Neuen Welt – sie erzählte mir viel von dem, was seit meinem Tod auf der Erde passiert war –, aber ich habe nicht viel darüber nachgedacht. Schließlich machten Olivia und ich uns auf und wanderten den Fluß hinunter, wo wir unerwartet mit einer Situation konfrontiert wurden, vor der die meisten Leute sich fürchten. Wir trafen auf meinen Vorgänger, auf Sam Clemens, Olivias irdischen Gefährten, der sich Mark Twain nennt.
Damals – obwohl ich noch immer in sie vernarrt war – hatten sich meine Gefühle ihr gegenüber etwas abgekühlt, denn jeder von uns gab sich alle Mühe, den anderen aufzubringen und in Rage zu versetzen. Und der Grund dafür? Es war keine Frage, daß unsere Schwierigkeiten hauptsächlich drauf zurückzuführen waren, weil wir nicht nur anderen Nationen, sondern auch anderen Zeiten angehörten. Wie kann ein Mann aus dem siebzehnten Jahrhundert mit einer Frau aus dem neunzehnten auskommen? Nun, manchmal schafft man es, sich zusammenzuraufen, aber in der Regel schafft der zeitliche Unterschied zwischen individuellen Partnern solche Probleme, daß man oft nur noch von einem hoffnungslosen Fall sprechen kann.
Livy und ich waren weit entfernt von hier, als ich davon hörte, daß man hier ein Boot zu bauen beabsichtigte. Ich wußte von dem Eisenmeteoriten, der hier niedergegangen sein sollte; wußte aber nicht, daß es Sam Clemens war, der ihn gefunden und sich angeeignet hatte. Aber ich wollte der Mannschaft angehören und endlich wieder ein stählernes Rapier in meiner Hand halten.
Und so, meine Liebe Miz Gulbirra, kamen wir hierher. Der Schock war für Sam wirklich groß. Er tat mir eine Weile sogar leid und bedauerte es, daß diese Wiedervereinigung zu keiner echten wurde. Olivia zeigte keinerlei Interesse daran, zu ihm zurückzukehren, obwohl unsere Beziehung schon lange nicht mehr so war wie früher. Sie schien sich sogar schuldig zu fühlen, weil sie für ihn keine Liebe mehr empfand, was noch schwerer zu verstehen ist, wenn man weiß, wie sehr sie sich auf der Erde geliebt haben.
Aber es hatte zwischen ihnen mehrere Brüche gegeben, tief verborgene Feindseligkeiten. Einmal, als sie krank gewesen war, hatte sie abgelehnt,
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