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Farmer, Philip Jose - Flusswelt 03

Farmer, Philip Jose - Flusswelt 03

Titel: Farmer, Philip Jose - Flusswelt 03 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das dunkle Muster
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gewesen sei und später zu den Gründerinnen des der römisch-katholischen Kirche angeschlossenen Ordens der Kleinen Schwestern der Armen (er hatte sich 1839 in der Bretagne etabliert) gehört hatte.
    »Ich bin eine seiner Anhängerinnen«, sagte Jeanne und nickte in die Richtung Piscators.
    Jill hob die Augenbrauen und sagte: »Oh!« Aber sie bekam keine Gelegenheit mehr, das Gespräch fortzuführen, da Piscator sie sanft am Ellbogen faßte und weiterzog.
    »Sie können später noch mit ihr reden.«
    Jill fragte sich, welcher Religionsgemeinschaft oder Sekte Piscator nun angehörte. Ein Mitglied der Kirche der Zweiten Chance war er jedenfalls nicht, sonst hätte er das aus Hornfischgräten gebastelte Signum dieser Leute an einer Schnur um den Hals tragen müssen.
    Der nächste Mann, der ihnen über den Weg lief, trug dieses Zeichen; drei, um genau zu sein. Mithin war er ein Bischof. Samuelo war ein untersetzter, ziemlich dunkelhäutiger und adlergesichtiger Mann, der irgendwann im zweiten Jahrhundert geboren worden war. Er hatte die Position eines Rabbis in einer jüdischen Gemeinde bei Nehardea in Babylon innegehabt und war laut den Aussagen Piscators zu seiner Zeit eine Kapazität auf dem Gebiet traditioneller Gesetze und in gewisser Weise auch der Wissenschaft gewesen. Man schrieb ihm die Erstellung des jüdischen Kalenders zu, aber sein größter Ruhm rührte hauptsächlich daher, daß es ihm gelungen war, das jüdische Gesetz auf alle Juden anzuwenden, die in der Diaspora lebten.
    »Sein Prinzip lautet: Das staatliche Gesetz ist bindend«, sagte Piscator.
    Samuelo stellte seine Frau vor. Sie hieß Rahelo, war etwas kleiner als er und nicht so dunkel. Sie hatte ein breites Becken und knochige Beine, aber ihr Gesicht strahlte eine überraschende Sinnlichkeit aus. Auf Jills Frage erklärte sie, daß sie im Krakauer Ghetto des vierzehnten Jahrhunderts geboren worden sei. Später berichtete Piscator Jill, daß Rahelo von einem polnischen Edelmann entführt und über ein Jahr in seinem Schloß gefangengehalten worden sei. Als er ihrer überdrüssig geworden war, hatte er sie hinausgeworfen, nicht jedoch ohne ihr einen kleinen Beutel Gold mitzugeben. Ihr Ehemann hatte sie schließlich erschlagen, wütend darüber, daß sie es nicht fertiggebracht habe, sich wegen dieser Entehrung selbst zu töten.
    Mehrere Male schickte Samuelo seine Frau weg, um sich ein Getränk holen zu lassen. Er trank allerdings keinen Alkohol. Des weiteren gab er ihr stets mit einem Wink zu verstehen, daß sie seine Zigarre anzünden solle. Rahelo gehorchte augenblicklich, anschließend nahm sie ihre Position hinter ihm wieder ein.
    Das vorsintflutliche Verhalten des Mannes und die offensichtliche Erniedrigung seiner Frau, die das alles mit stoischer Ergebenheit hinnahm, war für Jill jedes Mal wie ein Tritt in den Bauch. Sie konnte sich beinahe vorstellen, wie er seine täglichen Gebete verrichtete und dabei Gott dankte, nicht als Frau auf die Welt gekommen zu sein.
    Später sagte Piscator zu ihr: »Sie hegen nicht gerade freundliche Gefühle dem Bischof und seiner Frau gegenüber.«
    Jill fragte ihn nicht, woher er das wußte. Sie sagte: »Es muß ein ungeheuerlicher Schock für ihn gewesen sein, hier aufzuwachen und festzustellen, nicht mehr zu Gottes auserwähltem Volk zu gehören, und daß alle, egal, ob Kirchgänger, Kannibalen, Schweinefleischesser oder Ungläubige – alle Kinder Gottes – sich hier befinden. Daß jeder zu den Auserwählten gehört.«
    »Wir waren alle ziemlich entsetzt«, sagte Piscator. »Und schockiert. Sie etwa nicht?«
    Jill starrte ihn einen Moment lang an, dann lachte sie und erwiderte: »Natürlich. Ich war Atheistin und bin es noch immer. Ich war mir ziemlich sicher, daß aus der Masse meines fleischlichen Körpers die gleiche Masse an Erde, Luft und Wasser werden würde. Und dann kam das! Ich habe mich schrecklich gefürchtet, als ich mich hier wiederfand. Aber zur gleichen Zeit – nun, nicht zur gleichen, aber kurz darauf – war ich erleichtert. Es gibt also, dachte ich, doch ein ewiges Leben. Und dann, bald darauf, erlebte ich dermaßen seltsame Dinge an diesem eigenartigen Ort, der weder Himmel noch Hölle sein konnte, daß…«
    »Ich weiß«, sagte Piscator. Er lächelte. »Ich frage mich, was Samuelo dachte, als er sah, daß alle Nichtjuden der Erde auf dieser Welt auch keine Vorhaut mehr besaßen. Das muß ihn genauso mitgenommen haben wie die Erkenntnis, daß niemandem mehr ein Bart wuchs. Einerseits

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