Farmer, Philip Jose - Flusswelt 03
ihn zu sehen. Das tat ihm ziemlich weh, aber sie ließ sich nicht erweichen. Ich fragte sie, aus welchen Gründen sie ihn nicht in ihr Krankenzimmer gelassen habe, und sie erwiderte, es nicht zu wissen. Möglicherweise lag es daran, daß sie ihm insgeheim die Schuld am Tode ihres gemeinsamen Sohnes gab. Sie bezeichnete Sams Gedankenlosigkeit als beinahe kriminell, obwohl es auf der Erde nie soweit gekommen war, daß sie das Wort ausgesprochen hätte.
Ich versuchte ihr klarzumachen, daß dies vor langer Zeit auf einem anderen Planeten geschehen sei, und fragte sie, warum sie noch immer diese Abneigung gegen ihn mit sich herumschleppe, als ob es jetzt noch etwas ausmache, nachdem der kleine… Wie hieß er doch gleich?«
»Langdon«, sagte Jill.
»… nachdem der kleine Langdon nun ebenfalls von den Toten auferstanden sei? Er sei im Alter von zwei Jahren gestorben, sagte sie, und da niemand unter fünf Jahren – zumindest nicht hier – wiedererweckt worden sei, sei er so gut wie tot. Vielleicht lebe er auf einer anderen Welt und sei längst erwachsen. Jedenfalls könne sie nicht zu ihm, und selbst wenn das möglich wäre, würde er sich vermutlich gar nicht mehr an sie erinnern. Sie würde eine Fremde für ihn sein. Und Gott allein mochte wissen, welche Art Mann aus ihm geworden sei. Er könne ebenso gut unter Kannibalen oder Indianern aufgewachsen sein und weder die englische Sprache, noch irgendwelche Tischmanieren beherrschen.«
Jill lächelte und sagte: »Das hört sich eher nach Mark Twain als nach seiner Frau an.«
Cyrano grinste und meinte: »Sie hat das auch nicht gesagt. Das ist von mir. Ich wollte Ihnen nur zeigen, wie sie ungefähr dachte. Allerdings beruhte ihre Abneigung gegenüber Clemens noch auf anderen Dingen, nicht nur auf dem Tod ihres Kindes. Ich kann Clemens allerdings keinen Vorwurf machen. Als Schriftsteller kann es einem schon mal passieren, daß man alles um sich herum vergißt, wenn man gerade eine spannende Geschichte im Kopf hat. In dieser Beziehung bin ich ihm ähnlich. Er hatte es einfach nicht bemerkt, daß die Decken verrutscht waren und der eiskalte Wind voll auf das ungeschützte Kind niederblies. Er lenkte das Pferd, das seinen Wagen durch die Winterlandschaft und den fallenden Schnee zog, wie ein Automat und konzentrierte sich auf seine Innenwelt.
Olivia stand allerdings auf dem Standpunkt, daß er lange nicht so geistesabwesend gewesen sei, wie er behauptete. Sie bestand darauf, daß er es gar nicht gewesen sein könne; daß irgendein kleiner, böser Teil seines Bewußtseins sich unbewußt auf das Baby konzentriert haben müsse. Angeblich hatte er nie einen Sohn haben wollen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Männern bevorzugte er Töchter. Nebenbei gesagt war das Baby von Geburt an kränklich; ein Störfaktor. Für Sam, meine ich.«
»Ein Punkt, der für ihn spricht«, sagte Jill. »Ich meine, daß er Töchter bevorzugte. Obwohl das – um ehrlich zu sein – ebenso von einer Neurose zeugte wie die gegenteilige Auffassung. Allerdings scheint ihn der männliche Chauvinismus nicht befallen zu haben…«
Cyrano sagte: »Sie müssen wissen, daß Olivia von alledem während ihrer irdischen Existenz nicht die geringste Ahnung hatte. Zumindest behauptete sie das, obwohl ich vermute, daß sie durchaus auch andere Gedanken hegte, von denen sie allerdings beschämt war und sie deswegen tief in die dunklen Tiefen ihrer Seele verbannte. Erst hier, in diesem Tal, gewöhnte sie sich daran, das soi-disant, den sogenannten Traumgummi zu kauen, der es ihr erlaubte, ihre wahren Gefühle zu zeigen. Und dadurch – obwohl sie in gewisser Weise Clemens noch immer liebte – haßte sie ihn nur noch mehr.«
»Hat sie mit dem Gummikauen aufgehört?«
»Ja. Es regte sie zu sehr auf. Obwohl sie hin und wieder einige ekstatische oder fantastische Visionen hatte, waren die furchterregenden Erfahrungen doch in der Überzahl.«
»Sie hätte damit weitermachen sollen«, sagte Jill. »Unter kompetenter Führung allerdings. Jedoch…«
»Ja?«
Jill preßte die Lippen aufeinander. Dann sagte sie: »Vielleicht sollte ich nicht allem gegenüber so verdammt kritisch sein. Ich hatte einst einen Guru, eine hübsche Frau; die beste und weiseste, die mir je begegnete, aber auch sie konnte mich nicht davon abhalten, alle naselang in… Nun, es gibt keinen Grund, hier in den gleichen Fehler zu verfallen. Jedenfalls war es eine bestürzende Erfahrung. Ich sollte damit aufhören, alles und jeden zu
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