Farmer, Philip José - Flusswelt 04
der Besucher, daß er und seinesgleichen sich als >Ethiker< bezeichneten, obwohl sie natürlich auch über einen Eigennamen verfügten. Sie befanden sich auf einer höheren ethischen Ebene als die meisten Menschen. Achtet darauf, daß er die meisten sagte. Das bedeutet, daß sich auch unter uns Menschen befinden, die das gleiche Niveau erreicht haben wie die Ethiker.
Der Besucher offenbarte La Viro, daß sein Volk keinesfalls die erste Generation der Ethiker repräsentiere. Die ersten Ethiker waren uralte Wesen, Nichtmenschen, und stammten von einem Planeten, der weit älter war als die Erde.
Sie waren Individuen, die – statt sich ständig weiterzuentwickeln – selbst und mit Absicht ihre Entwicklung gebremst hatten. Als sie erkannten, daß es noch eine andere, ebenfalls nichtmenschliche Rasse gab, die in der Lage war, ihre Arbeit fortzusetzen, zeigten sie ihr, was sie zu tun hatte, und gaben ihr das Wissen weiter.
Der Besucher bezeichnete diese Spezies als die >Alten<, aber im Vergleich mit denen, die ihre Lehrer gewesen waren, war sie noch sehr jung.
Und das, sagte der Besucher, haben die Ethiker von den Alten erfahren: Der Schöpfer, Gott, der Große Geist – nennt ihn, wie ihr wollt – ist überall. Er ist das Universum und das Universum ist er. Aber sein Körper besteht aus zwei Wesenheiten. Die eine ist die Materie, die andere – in Ermangelung eines besseren Begriffs – ist die Nichtmaterie.
Jeder von uns weiß, was Materie ist. Obwohl Philosophen und Wissenschaftler sich bemüht haben, sie exakt zu definieren, ist es ihnen nie gelungen. Trotzdem weiß jeder, was Materie ist. Wir erfahren sie direkt.
Aber was ist Nichtmaterie? Was ist das?«
20
»Das Vakuum!« schrie irgendein Witzbold. »Und zwar das in deinem Kopf!«
Clemens stand auf und brüllte: »Ruhe da! Laß den Mann ausreden.«
Und er fügte mit einem Grinsen hinzu: »Selbst wenn es keinen Sinn ergibt!«
»Vielen Dank, Mr. Clemens«, sagte Göring. »Ein perfektes Vakuum ist von Materie absolut frei. Ein gelehrter Mann hat mir jedoch einmal erklärt, daß es ein perfektes Vakuum nicht gibt. Es existiert ausschließlich in der Theorie. Selbst ein Vakuum ist Materie.
Nichtmaterie ist das, was die alten Erdreligionen als >Seele< bezeichneten. Die Definitionen der Seele waren jedoch immer ziemlich vage und abstrakt. Die Völker antiker und klassischer Epochen und deren ungebildete Vorfahren sahen in der Seele stets ein schattenähnliches Ding, eine geisterhafte Entität, die die Materie, der sie vor dem Tod zugehörig war, schwach reflektierte.
Später sahen gebildetere Völker in der Seele eine unsichtbare Entität, die aber auch mit dem Körper verbunden war. Man glaubte, daß sie sich nach dem Tod einen neuen Körper suchte und auf ewig unsterblich blieb. Einige orientalische Religionen stellten sie sich als etwas vor, das nach mehreren Säuberungen auf der Erde ein gutes Karma erlangt und zu einem Teil Gottes wird.
All dies ist jedoch nur ein Teil der Wahrheit; jeder sah nur einen Teil der absoluten Wahrheit.
Aber diese philosophischen Untersuchungen sollen uns jetzt nicht kümmern. Was wir brauchen, sind Fakten. Und es ist ein Faktum, daß jede lebende Kreatur, und zwar von der einfachsten bis zur kompliziertesten, einen Nichtmaterie-Zwilling hat. Auch eine Amöbe hat eine Seele, ein Bazillus.
Aber ich will keine Verwirrung stiften, indem ich zu sehr in die Einzelheiten gehe. Jedenfalls nicht jetzt.
Der Besucher sagte zu La Viro: >Nichtmaterie ist unzerstörbar. Das bedeutet, daß auch dein irdischer Körper einen unzerstörbaren Nichtmaterie-Zwilling besaß.<
An dieser Stelle unterbrach La Viro, der bis jetzt schweigend zugehört hatte, den Fremden und fragte: >Wie viele Zwillinge hat eine lebende Kreatur? Ich meine, ein Mensch verändert schließlich seine Erscheinung. Er altert, verliert ein Auge oder ein Bein. Er leidet an einer kranken Leber. Ist dieses Nichtmaterie-Ding wie eine Serie von Fotografien, die man von einem Menschen macht? Wenn ja, wie oft wird er dann aufgenommen? In jeder Sekunde, einmal im Monat? Was geschieht mit den alten Aufnahmen dieser Nichtmaterie-Dinger?<
Der Besucher lächelte und sagte: >Das, was du Nichtmaterie-Ding nennst, ist unzerstörbar. Aber es zeichnet alle Veränderungen auf, denen ein physischer Körper unterworfen ist.<
>Und was passiert dann?< sagte La Viro. >Müßten dann nicht auch Nichtmaterie-Abbilder eines Körpers produziert werden, der schon verwest?<
Wie ich bereits
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