Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling
Tanzerei und ihrem Gerede von Geburtstagen und Vornamen und Sternzeichen. Sie ist heute sehr beschäftigt mit dem Einräumen der Wareneingänge. Das muss alles erledigt sein, je eher, desto besser, die Adventszeit ist eine strenge Zeit. Die bestellte Schallplatte sucht sie ihnen selbstverständlich heraus, da ist sie schon, bitte. Aber ja, wenn die Herren es durchaus wünschen, kann man die Platte auch gleich hier im Geschäft ein erstes Mal abspielen, allerdings ohne Haftung für irgendwelche Schäden. Dorly legt die Nadel auf die Rille, es knistert und knackt, dann legen fortissimo die Streicher los, begleitet von einem Flügel. Nach drei Takten spielt das Orchester nur noch piano, und der Gesang setzt ein.
Ich hab das Leben mir mit angesehen, so wie es war,
Ich fand es immer wieder bunt und schön, so wie es war
Ich ließ mich oft und gern berauschen
Doch heut möcht ich mit keinem tauschen, denn
Seit ich Dir einmal tief ins Herz gesehn,
Fühl ich ganz klar
In Deine Hände leg ich mein ganzes Glück
’S ist nur ein kleines Stück, behüt es fein
In Deine Hände, da leg ich Freud und Leid
Zukunft Vergangenheit, mein ganzes Sein
Und meint’s das Schicksal gut
Dann bin ich frohgemut
Und meint’s das Schicksal schlecht
Denk ich erst recht
In Deinen Händen ruh ich von allem aus
In Deinen Händen bin ich ganz zuhaus
Und meint’s das Schicksal gut
Dann bin ich frohgemut
Und meint’s das Schicksal schlecht
Denk ich erst recht
In Deinen Händen ruh ich von allem aus
In Deinen Händen bin ich ganz zuhaus.
Dorly betrachtet den kleinen Finnen, der mit hängenden Armen und halbgeschlossenen Augen diesem sanften, wehmütig-fröhlichen Tango lauscht. Das also ist seine Musik. Das hätte Dorly nicht gedacht. »Nachdem wir ›In Deine Hände‹ abgespielt hatten, fasste ich Zutrauen zu den beiden, besonders zu Velte. Er schien mir jetzt nicht mehr so düster, sondern im Gegenteil zartfühlend und schutzlos, vielleicht auch etwas verstört.«
Dorly will jetzt nicht mehr, dass die beiden möglichst schnell weggehen. Sie legt eine andere Platte von Willi Kollo auf, dann noch eine und immer noch eine: »Warum hast Du so traurige Augen?«, »Jetzt geht’s der Dolly gut«, »Mach mit mir eine Mondscheinfahrt«, »Ich kenn’ zwei süße Schwestern«, »Lieber Leierkastenmann«.
Viel zu schnell geht die Mittagszeit vorüber. Die Schallplattenabteilung füllt sich mit Kundschaft, Dorly hat keine Zeit mehr. Die Burschen müssen jetzt gehen. »Beim Abschied bestellte Velte eine zweite Schallplatte, die wir aber auch nicht vorrätig hatten; ich glaube, es war dies ›Grüß mir mein Hawaii‹, ebenfalls von Willi Kollo. Wir verabredeten wiederum, dass er sie am folgenden Tag abholen könne.«
Es kommt hin und wieder vor, dass junge Männer auffällig lange bei ihr in der Schallplattenabteilung bleiben. Dorly weiß, was denen an ihr gefällt: ihre geraden Schultern, die schmale Taille und die Tatsache, dass sie nicht den lieben langen Tag blöde hinter dem Tresen hervorlächelt. Vor ein paar Jahren noch hat Dorly zwei oder drei Mal Einladungen angenommen zu einem Spaziergang oder einem Kaffee. Aber jetzt nicht mehr. Es ist doch immer dasselbe und hat nichts zu bedeuten, und wenn es doch einmal etwas zu bedeuten hätte, so würde Dorly das nicht wollen. Die zwei Jahre Ehe mit Anton reichen ihr vollauf. Dieser kleine Deutsche aber ist anders. Der sagt, was er will, nicht mehr und nicht weniger.
»Bitte, Fräulein Dorly, ich möchte mich gern länger mit Ihnen unterhalten. Wollen Sie sich heute Abend mit uns treffen?«
»Mit Ihnen beiden?« fragt Dorly belustigt. Die zwei Burschen scheinen unzertrennlich zu sein.
»Ja.«
»Warum nicht. Nach Ladenschluss, um sieben Uhr. Auf dem Marktplatz, bei der Litfaßsäule.«
»Wir werden da sein.«
»Ich werde vielleicht eine Freundin mitbringen, wenn’s recht ist. Ich weiß noch nicht, ob sie mitkommt, ich werde fragen.«
Die Freundin ist Aushilfsverkäuferin in der Sportartikelabteilung. Freundin – das ist vielleicht ein bisschen übertrieben. Aber von allen Verkäuferinnen gefällt ihr dieses polternde Landmädchen bei weitem am besten. Die ist nicht so langweilig wie diese Stadtbasler Zimtzicken, die nichts als Seidenstrümpfe, Liebesschwüre und Brautkleider im Kopf haben.
Zwei Stunden nach Einbruch der Nacht ist Ladenschluss. Dorly Schupp und Marie Stifter treten hinaus auf den weihnachtlich glitzernden Marktplatz. Männer und
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