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Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling

Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling

Titel: Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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Frauen tragen Geschenkpakete in allen Größen heimwärts. Der Sankt Nikolaus vom Kaufhaus Rheinbrücke ist mit seinem Doppeldecker weggeflogen, die Kinder sind längst zu Hause. Fräulein Freundlich wärmt ihre klammen Glieder im nächsten Kaffeehaus, und ihr gegenüber sitzt der Reklamechef. Oder der Abteilungsleiter.
     
    *
     
    An der Straßenbahnstation steht Ernst Walder. Er beobachtet, wie seine Marie am Arm einer fremden Frau auf zwei unbekannte Männer zugeht, die bei der Litfaßsäule stehen. Gutangezogene junge Männer in Knickerbockers. Richtige Lackaffen. Ernst wundert sich: Hat Marie ihn denn nicht gesehen, hat sie ihre Verabredung vergessen? Soll er ihr winken, ihr hinterherlaufen? Nein. Er sieht es an ihrem steifen Hals, dass sie ihn weder vergessen noch übersehen hat und dass es sie viel Kraft kostet, nicht zu ihm hinzuschauen. Ernst wartet ab, was weiter geschieht.
     
    *
     
    »Hallo, Fräulein Dorly! Schön, dass Sie gekommen sind, noch dazu in Begleitung.« Dorly schüttelt beiden die Hand, dann stellt sie ihnen Marie Stifter vor. Wieder spricht nur der Große, der Kleine mit den grünen Augen steht düster daneben. Der ist Marie unheimlich. Sie wundert sich, dass Dorly Schupp es auf den abgesehen hat. Ein bisschen bereut sie schon, dass sie mitgegangen ist, obwohl der große Dünne ganz nett zu sein scheint. Und morgen werden die beiden ja schon weit weg sein, hat Dorly gesagt, in Spanien oder noch weiter fort. Da kann nicht viel passieren.
    »Dürfen wir Sie zu einem Kaffee einladen?«
    »Möchten Sie etwas essen?«
    »Hätten Sie Lust, ins Kino zu gehen?«
    »Ins Theater?«
    »Zum Tanz?«
    »Auf den Rummelplatz?«
    »Ein Konzert vielleicht?«
    »Wollen wir in unserem Hotelzimmer Schallplatten hören?«
    Das gefällt Marie Stifter. Sie würde am liebsten gleich alle Einladungen annehmen, und zwar gleichzeitig oder in egal welcher Reihenfolge. Aber Dorly lehnt alles ab.
    »Ich wollte von Anfang an nichts mit den beiden Deutschen unternehmen, was auf ein sogenanntes Verhältnis hätte hinauslaufen können«, wird Dorly im Verhör sagen. »Ich hatte keinerlei Absichten und wünschte mir, dass es auch bei ihnen so bleibe. Zudem wusste ich ja, dass sie am nächsten oder übernächsten Tag wieder abreisen würden.«
    Also machen die vier sich auf zu einem unverfänglichen Spaziergang. Kurt und Marie gehen voraus, Dorly und Waldemar ein paar Schritte hinterher.
     
    *
     
    Ernst Walder bleibt an der Tramhaltestelle stehen und schaut ihnen hinterher, bis sie in der Eisengasse verschwunden sind. Er weiß, dass es nichts gibt, was er jetzt anständigerweise unternehmen könnte. Schließlich ist er mit Marie offiziell weder verlobt noch verheiratet. Daran ist niemand anders schuld als er selber, und deshalb hat er auch kein Recht, ihr jetzt hinterherzulaufen.
     
    *
     
    Seit Tagen wütet der sibirische Wind in Basel; Brunnen und Bäche frieren zu, über den Rhein schießen waagerecht Milliarden von nadelspitzen Eiskristallen. In der Eisengasse sind Dorly, Marie, Kurt und Waldemar noch einigermaßen geschützt, aber auf der Mittleren Brücke schlägt ihnen der Nordwind ins Gesicht, zerrt an Mützen und Mänteln, schlägt gegen Rock und Hosen und zerzaust die Frisuren, und die Eiskristalle dringen in Ohren, Nasen und Münder.
    »Kurt Sandweg war ein fröhlicher Geselle, ich nannte ihn Bajazzo. Am ersten Abend zum Beispiel ist er mitten auf der Brücke drei oder vier Schritte vorausgelaufen, hat sich zu uns umgedreht und seinen Mantel weit aufgerissen. Dann hat er Waldemar Velte, Marie Stifter und mich aufgefordert, unter seine Fittiche zu schlüpfen. Da er fast zwei Meter groß war, hat uns sein Mantel tatsächlich bestens vor dem Wind geschützt. Wir sind dann alle vier rückwärts gegen den Wind über die Brücke marschiert – Marie und ich zu Sandwegs Linken, Waldemar Velte an seiner Rechten.«
    In Kleinbasel am nördlichen Rheinufer bläst der Wind weniger stark als auf der Brücke. Es wird ein langer Spaziergang. Sie gehen nicht über den Uferweg, sondern auf den zwanzig Meter breiten Kiesbänken, die sich in diesem Winter gebildet haben, weil der Rhein ungewöhnlich wenig Wasser führt. Es ist, als sei das Wasser ausgewandert. Im Flussbett liegen überkrustete Toilettenschüsseln, verrostete Mordwaffen und algenbewachsene Fahrräder, und die Kieselsteine sind glitschig und aneinandergefroren und duften nach Meer. Beidseits des Flusses ist das Ufer befestigt mit Mauern aus gewaltigen

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