Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling
Reden längst aufgegeben.
»Velte begleitete mich über die Wettsteinbrücke und durch die Rittergasse zum Globus, wo wir Abschied nahmen. Er wie auch sein Freund machten mir einen sehr guten Eindruck, sie waren höflich, gut gekleidet, besaßen gute Umgangsformen und benahmen sich nicht aufdringlich, in keinem Fall frech. Bei mir handelte es sich nicht um ein ernstes Verhältnis. Ich fand Sympathien an beiden, besonders aber an Velte. Er sagte mir, er müsse vorerst noch große Reisen machen und sehen, wie sich seine Sache entwickle. Er komme dann später wieder und dann wolle man sehen. Es handelte sich bei uns wohl an jenem Abend schon, wie man so sagt, um eine platonische Liebe. Ich hatte den Eindruck, dass Marie Gefallen an Kurt Sandweg gefunden hatte, jedoch hat sie mir gegenüber nichts Derartiges verlauten lassen.«
Es ist fast ein Uhr, als Dorly leise die Wohnungstür aufstößt. Tatsächlich sitzt die Mutter auf dem Sofa und häkelt an einer Spitzendecke. Sie schaut nicht auf, als die Tochter eintritt. Dorly schlüpft aus den Schuhen, die innen durchnässt sind und außen gefroren, und massiert sich die Füße, die ihr schon längst nicht mehr wehtun; der Schmerz wird erst in ein paar Minuten zurückkehren und alles nachholen, wenn die Wärme in die Knochen dringt.
»Ich erzählte der Mutter, dass ich den Abend verbracht hätte mit zwei jungen Herren, die sich nur mit Vornamen vorgestellt hätten, da sie ihre Familiennamen aus politischen Gründen geheimhalten müssten. Da äußerte sie den Verdacht, dass es sich um Mädchenhändler handle. Auf keinen Fall sollte ich die beiden je nach Hause bringen. Ich erwiderte, dass sich das erübrige, da sie bald abreisen würden.«
7
Weihnachten naht, es wird immer noch kälter. Auf dem Rhein treiben dicke Eisschollen, darauf sitzen Möwen und lassen sich nordwärts tragen. Aus allen Schornsteinen steigt schwarzer Rauch, und in vielen Kellern werden die Kohlevorräte lang vor dem Frühling zur Neige gehen. Wer Geld hat, bestellt jetzt Kohle nach, und wer auch danach noch Geld hat, macht hastig die letzten Weihnachtseinkäufe.
Am Morgen des fünfzehnten Dezember holen Sandweg und Velte »Grüß mir mein Hawaii« im Globus ab, bestellen aber gleich eine dritte Schallplatte für den folgenden Tag. Von einer Abreise ist keine Rede mehr. Abends warten sie auf dem Marktplatz bei der Litfaßsäule auf Dorly und Marie. Kurt hat die »National-Zeitung« aufgeschlagen und studiert das Kinoprogramm.
Das Cinema Alhambra in der Steinenvorstadt zeigt »Madame Butterfly« mit Sylvia Sidney in der Hauptrolle und Cary Grant als Lieutenant Pinkerton. »In bezaubernder Bildfolge zieht das Leben, Lieben und Sterben der armen kleinen Geisha vorüber, die sich an ihrer Sehnsucht verzehrt und das grausame Harakiri nach der Sitte der Väter als letzten Ausweg wählt.«
Das Cinema Forum bei der Johanniterbrücke zeigt »die sprühende und bezaubernde Tonfilm-Komödie ›Was Frauen träumen‹ mit Gustav Fröhlich und Nora Gregor. Die phantastischen Schicksale einer verführerisch schönen Frau – einer Frau, von der ein betörender flackernder Reiz ausgeht, die nur in großem Stil arbeitet. Immer dann, wenn sie dem Zugriff der Polizei zu erliegen scheint, taucht aus dem Dunkel ein geheimnisvoller Mann auf, der sie rettet. Und die Polizei tappt im dunkeln wie das Publikum – bis das Schicksal die Schleier brutal zerreißt.«
Im Morgarten-Tonfilm-Theater läuft »Frauengefängnis« mit Sylvia Sidney und Gene Raymond: »Das schönste Liebespaar des Films in einem gewaltigen Filmwerk. Die Geschichte zweier Liebender, die, unschuldig zum Tode verurteilt, sich mutig den Weg ins Leben und ins Paradies der Liebe zurückerkämpfen. Eintritt 55 Rappen.«
Weiter läuft »Die Frau im U-Boot« mit Gary Cooper, »Das Hohelied« mit Marlene Dietrich und »King Kong« mit Fay Wray.
Marie wäre nicht abgeneigt, besonders Madame Butterfly würde sie interessieren. »Aber Dorly wollte einfach nicht ins Kino – was sollten wir machen?« Sie schlagen die Mantelkragen hoch und gehen wiederum am Rhein spazieren.
*
Weiter flussabwärts, in der großen Biegung bei der Lorelei, haben sich die Eisschollen gestaut; mit gewaltigem Getöse krachen sie ineinander, zersplittern und überwerfen und türmen sich zu einer bizarren Arktislandschaft, die sich von einem Ufer zum anderen hinzieht, zehn Kilometer weit. Der Rhein verschwindet unter tausend Tonnen knirschenden Eises. Junge Burschen machen es
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