Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling

Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling

Titel: Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
Vom Netzwerk:
Armen der Angehörigen des Verblichenen, aufgelöst in Tränen, sein unaussprechliches Weh ausweinen zu sehen.«
     
    *
     
    Mein Großvater kannte sich nicht nur bei Autos, sondern auch bei Motorrädern aus. »Die BMW R16 war ein Luxusgefährt, musst du wissen. Typisch für den Zellweger. Kostete 2040 Mark, und das während der Depression. Nur 1106 Stück hat BMW davon in fünf Jahren produziert und verkauft. Gefallen hätt’s mir natürlich auch. Zweizylinder-Boxermotor mit obenliegenden Ventilen, 25 PS, Höchstgeschwindigkeit 140 Stundenkilometer. Mit dem Nachfolgemodell R12 sind die Deutschen übrigens in den Krieg gezogen. Allein an die Wehrmacht hat BMW 16 500 Stück geliefert. Die meisten sind im russischen Morast steckengeblieben. Gut für die Russen und uns alle, schade um die Motorräder.«
     
    *
     
    Nach den tödlichen Schüssen im Steinbruch befiehlt die Einsatzleitung sicherheitshalber alle fliegenden Patrouillen ins Nachtquartier. Die Jagd wird bis Tagesanbruch ausgesetzt, nur die Blockade bleibt aufrecht. Die Offiziere ziehen sich in ihre Hotelzimmer zurück, die Mannschaften legen sich in Turnhallen und Pferdeställen schlafen, und die Hunde rollen sich ein und stecken die Schnauze ins Fell.

18
    Sonntag, einundzwanzigster Januar 1934 , acht Uhr. Der Morgen graut, Laufen erwacht. Genagelte Polizistenstiefel poltern übers Kopfsteinpflaster, Motoren laufen warm, es riecht nach Kaffee in Blechtassen. Auf dem Feld vor dem Städtchen steht ein Doppeldeckerflugzeug, dessen Propeller den Rauhreif von den Grashalmen reißt und hochwirbelt. Vor der Maschine stehen zwei Polizeioffiziere und der Pilot. Die Polizisten grüßen militärisch, der Flugpionier tippt nachlässig an seine Ledermütze, klettert in die Kanzel und zieht am Gashebel. Der Doppeldecker holpert über die Wiese und hebt ab, zieht eine Schleife über dem Städtchen und fegt dicht über die Wipfel eines Tannenwäldchens hinweg. Die Tannen biegen sich, Schnee fällt hinunter auf den Waldboden, auf dem Kurt Sandweg und Waldemar Velte schlafen. Sie liegen Bauch an Rücken auf Waldemars Mantel, Kurts Mantel dient ihnen als Decke. Der von den Wipfeln fallende Schnee weckt Waldemar. Er löst sich aus der Umarmung seines Freundes, kriecht zwischen den Mänteln hervor und zieht ein kleines schwarzes Wachstuchheft aus der Tasche.
     
    »Letzter Tag meines Lebens – Sonntag, 21. 1. 1934. Es ist im Moment 8:10 Uhr. Nach übermenschlichen Strapazen, halbverhungert, todmüde, sind wir 2 in Laufen angelangt. (Gestern Abend.) Holten hier eine Kleinigkeit zu essen und waren dann auch gleich erkannt. Sehr zum Nachteil zweier Polizisten. Haben dann im Wald bei Frost übernachtet, nachdem wir eingesehen hatten, dass ein Fortkommen unmöglich war. Wir rechneten also mit dem Tod. Es war uns schon recht, er bedeutete für uns das höchste Glück. Endlich werden wir aus diesem Jammer und Elend erlöst. Es musste ja alles so kommen.
    Wir 2 sind von Natur aus mit einem feinen Rechtsempfinden begabt und haben uns früh bemüht, logisch zu denken und konsequent zu handeln, anstatt immer im Lauf der Jahre unser feines Gewissen zu ersticken, wie es die liebe menschliche Gesellschaft muss, um leben zu können.
    Wir haben unser Rechtsempfinden und Suchen nach objektiver Wahrheit noch vertieft, und ebensolche Denkart, die zudem die einzig richtige ist, musste uns zwangsläufig mit der ›lieben menschl. Gesellschaft‹ in Konflikt bringen. Wir waren uns über unseren Weg ganz im klaren.
    Der bisherige Verlauf unserer Handlungen und die sich daraus ergebenden Folgerungen sind nicht immer ein Zoll anders. Wir haben also nichts zu bereuen und sind auch nicht enttäuscht. Ganz im Gegenteil, wir sind erfreut, dass wir die Kraft hatten, für den einzig wahren Lebenszweck zu kämpfen. Wir werden nicht noch einmal in diese Hölle, genannt ›Welt‹, zurückkehren müssen. Wir werden erlöst werden.
    In dem Maße, wie man den Finger gegen uns gehoben hat, um ein Mehrfaches werden sie leiden müssen. Wer das Gute und Ideale hütet, der tötet Gott. Also, Ihr Herren Staatsführer, Juristen, Staatsanwälte, Richter, Polizeipräsidenten, habt Ihr schon einmal darüber nachgedacht, dass Ihr für Euren Beruf mal schrecklich leiden müsst, dass Ihr noch sehr oft auf diese ›schöne‹ Erde zurückkommen dürft? Hättet Ihr auch nur ein wenig natürlichen Verstand, Ihr würdet über Euch weinen. Auch Ihr müsst mal unsern Weg gehen! Das ist so sicher wie ein Evangelium. Viel

Weitere Kostenlose Bücher