Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling
auf Männer eingestellt: auf Staatsanwälte und Detektive, Bösewichte und Helden, verletzte, unversehrte und tote. Ein Weib wäre nur interessant, wenn es den süßen Geruch von Angst und Verzweiflung ausströmte, den Polizistenwitwen und Gangsterliebchen gemeinsam haben.
Ereignislos vergeht Stunde um Stunde auf dem Kommissariat. Der Wurst- und Biernebel wird immer dichter, die Reporter werden ungeduldig. Aufgeregt und blasiert und gelangweilt, wie es ihre Art ist, steigen sie jedem auftauchenden Polizisten hinterher.
»Gibt es etwas Neues?«
»Hat sich die Spur nach Kleinhüningen konkretisiert?«
»Und der Hinweis auf Reinach? Auch nicht?«
»Wie viele Polizisten sind im Einsatz?«
»Vierhundert? Und noch immer keine Spur?«
So geht das seit dem frühen Morgen. Mittag ist vorbei, und noch immer gibt es keine Neuigkeiten. Allmählich drängt die Zeit; um eins braucht das Radio etwas für die Mittagsnachrichten, die »National-Zeitung« hat um zwei Redaktionsschluss fürs Abendblatt, die Konkurrenz von den »Basler Nachrichten« eine halbe Stunde später und die »Arbeiter-Zeitung« noch einmal eine halbe Stunde später. Jetzt muss unbedingt etwas geschehen, und weil nichts geschieht, tun die Reporter, was alle Reporter überall auf der Welt in derartigen Notlagen tun – sie interviewen sich gegenseitig. Der einheimische Lokalreporter bittet den Korrespondenten des »Petit Parisien« um eine Einschätzung der Lage; als Gegenleistung liefert er ihm auch eine, und dann eilen beide ans Telefon, um die neugewonnenen Erkenntnisse an ihre Redaktion weiterzuleiten. Dann ist die dringendste Pflicht erfüllt, und es wird ruhig im Flur. Manche Reporter sind schon halbwegs betrunken und stehen dösend an die Wand gelehnt, andere lesen das Konkurrenzblatt, nicht ohne verächtlich die Lippen zu schürzen. Wieder andere stehen zusammen und tauschen Zigaretten und Journalistenklatsch, und allmählich macht sich eine recht angenehme, südländisch-schläfrige Atmosphäre breit – da schrillen die Glocken im ganzen Haus. Das bedeutet, dass der Staatsanwalt Alarm geschlagen hat. Sofort geht es um wie ein Lauffeuer: »Die Bankräuber sind gesehen worden! Irrtum ausgeschlossen! Acht Kilometer außerhalb der Stadt! Bei der Ruine Tschäpperli, bei Dornach!«
16
Jetzt trampeln im Lohnhof Polizistenstiefel durch die Gänge. Waffenschränke fliegen auf, Karabiner und Stahlhelme werden verteilt, Polizeihunde aus den Zwingern geholt. Jedes verfügbare Auto, jeder Lastwagen, jedes Motorrad wird mit Polizisten beladen und fährt los ins Basler Hinterland.
Zurück bleiben die Journalisten, die ihre Wurstbrote und Bierflaschen in den Papierkorb werfen und vergeblich um eine Mitfahrgelegenheit betteln. Erst als die ersten Bürger eintreffen, die der Polizei freiwillig ihre Privatautos für die Verbrecherjagd zur Verfügung stellen, erlaubt der Staatsanwalt den Journalisten zuzusteigen – allerdings auf eigene Rechnung und eigene Gefahr.
Der junge Reporter von der »National-Zeitung« ergattert einen Platz auf dem Rücksitz eines Opel, der mit drei Detektiven in den Jura fährt. »Wir rasen das Birsigtal hinauf nach Ettingen. Von dort führt unser Weg bergauf durch den Wald, auf lehmweichem, glitschigem Boden klettert das Auto bergan. Unsere drei Detektive haben Befehl: Spur von Ruine Tschäpperli weg verfolgen. Beim Blockhaus auf der Felsspalte stoppen wir. Wir entsichern unsere Waffen. Zunächst untersuchen wir das Blockhaus – alles in Ordnung – Türen und Fenster hermetisch verschlossen. In großem Umkreis suchen wir die Gegend um das Blockhaus nach allfälligen Spuren ab – während einer von uns als Wachtposten beim Auto zurückbleibt. Auf der dünnen Schneedecke suchen wir eifrig nach Fußspuren – eine Viertelstunde lang streifen wir kreuz und quer, möglichst geräuschlos, durch den Wald. Plötzlich entdecken wir auf schmalem, abschüssigem Waldweg die frischen Spuren von zwei Menschen. Und wir alle sind nun überzeugt: Wir sind auf den Spuren der Mörder! Vorsichtig folgen wir dieser Spur, die zunächst steil abwärts führt. Wir gelangen zu einem weiten Schneefeld, das ringsum von einem Stacheldraht eingehagt ist. Dort verlieren wir vorläufig die Spur, finden sie aber bald wieder: Sie führt nun rechts den Wald hinauf.«
*
Es ist fünf Uhr abends, die Dämmerung legt sich übers Land. Während der junge Reporter hinter seinen drei Detektiven durch den Wald hetzt, betreten im nahe gelegenen Städtchen Laufen
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