Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling
zwei junge Burschen mit lehmverschmierten Hosenbeinen und Schuhen das Restaurant »Zum Bahnhof«. »Gueten-Oobe mitenand!« ruft der Größere zum Stammtisch hinüber. Sie nehmen Platz. Der Große bestellt »zwäimoll Röschti mit Brotwurscht und eme griene Salat«. Nach dem Essen ruft er: »Kennt ich denn zahle, bittschön?« Dann verschwinden die beiden in die Nacht hinaus. Die Serviererin wird kurz darauf schwören, der Große könne unmöglich ein Deutscher gewesen sein, der habe ganz einwandfrei Baseldeutsch gesprochen. Über den Kleineren könne sie nichts sagen, der habe die ganze Zeit geschwiegen.
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Der Reporter der »National-Zeitung« pirscht noch immer »durch den stillen Wald – stets die Spur vor den Augen. Die Schneedecke wird immer dünner und durchsichtiger – vereist! und es wird dunkel. Immer schwerer werden die Spuren erkennbar – schließlich entschwinden sie ganz im Dunkel der Nacht. Was tun? Wir wissen ungefähr, in welcher Richtung Zwingen liegt. Dorthin wollen wir. Bergab stolpern wir über lehmig-weichen Boden, klumpenweise klebt der Dreck an den Stiefeln. Plötzlich menschliche Stimmen: Mit schussbereiter Waffe pirschen wir vorsichtig den Hang hinauf. Ein Zigeunerlager! Es wird peinlich untersucht, unter lautem Geschimpfe der Nomaden. Unterwegs entdecken wir einen einsamen Bauernhof – die ›Rote Grube‹ –, eine Motorradpatrouille ist kurz vor uns dort vorbeigerast und hat die Bauersleute vor den Mördern gewarnt. Knechte zeigen uns den Weg ins Tal hinunter. Kurz vor Zwingen begegnet uns eine Autopolizeistreife – sie nimmt uns mit ins Dorf, wo wir auch unseren eigenen Wagen treffen, der mittlerweile dort angelangt war. Kurz vor sieben Uhr sitzen wir in einer kleinen Wirtschaft und stärken uns. Plötzlich stürzt schmutzbedeckt ein Polizist herein und stammelt in höchster Erregung: ›Jetzt haben sie noch einmal zwei Polizisten erschossen!‹«
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Wenige Minuten zuvor hat sich ein Motorrad mit Seitenwagen dem Städtchen Laufen genähert. Am Lenker sitzt der sechsundfünfzigjährige Polizeidetektiv Walter Gohl, im Seitenwagen Detektivkorporal Hans Maritz, der in den letzten vierundzwanzig Stunden nacheinander Kurt Sandweg, Waldemar Velte, den schwerverletzten Polizeimann Alfred Nafzger und Dorly Schupp einvernommen hat. Fünfhundert Meter vor Laufen fährt das Motorrad an einem Steinbruch vorbei, der rechts im Dunkeln liegt. Hans Maritz, der in drei Monaten sein fünfundzwanzigjähriges Dienstjubiläum feiern will, glaubt im Steinbruch etwas Verdächtiges gesehen zu haben. Er fordert Gohl mit Handzeichen zum Umkehren auf. Das Motorrad wendet und fährt langsam auf den Steinbruch zu. Da fallen aus dem Dunkel fünf Schüsse. Die ersten zwei treffen Detektivkorporal Maritz in den Kopf. Er ist sofort tot. Der dritte Schuss zerschmettert Gohls Unterkiefer, der vierte und fünfte dringen in seine Brust ein.
17
Als die neue Bluttat bekannt wird, strömen überall die Menschen zusammen. Familienväter nehmen den Karabiner aus dem Kleiderschrank und legen bedächtig Patronen ein, während ihre Frauen die Fensterläden schließen. Vor jedem Polizeiposten versammeln sich Dutzende von Männern, bewaffnet mit Sensen, Heugabeln, Pistolen und Gewehren. »Nun wurde beschlossen, ohne jede Rücksicht auf diese Mordbuben Jagd zu machen«, notiert der Reporter der »National-Zeitung«. »›Lebend oder tot!‹ war die Parole.«
Das Städtchen Laufen wimmelt von Polizei. Am frühen Abend treffen zur Verstärkung Detachemente aus den Nachbarkantonen Bern, Baselland und Solothurn ein. Alle Hotels, Pensionen und Restaurants sind für die Polizei reserviert. In den Gassen hallt es von Hundegebell und gebrüllten Befehlen. Im Licht der Straßenlaternen blinken Gewehrläufe und Bajonette.
Um zehn Uhr abends ist das Gebiet um Laufen in einem Umkreis von fünfundzwanzig Kilometern hermetisch abgeriegelt. Alle Brücken sind streng bewacht, sämtliche Straßen gesperrt. Die Beamten haben Weisung, vorsichtshalber nicht mitten auf der Straße Posten zu beziehen, sondern im schützenden Dunkel von Hecken und Büschen.
Die Bürger gehen nicht mehr aus dem Haus angesichts der waffenklirrenden Invasion; wer sich aus irgendeinem Grund doch auf die Straße wagt, hat es auf Schritt und Tritt mit einer entsicherten Pistole und einem nervösen Uniformierten zu tun. Unglücklich sind vor allem die Kinder, dass man sie nicht ins Freie lässt; alle wollen sie Räuber und Gendarm spielen an jenem
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