Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling

Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling

Titel: Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
Vom Netzwerk:
Menschen! Oder man muss mit den Weltverbrechern ins selbe Horn blasen. Unsere Ehrlichkeit hielt uns hiervon ab. Wir sterben gerne. Diese Hölle bietet uns keinen Reiz. Vielen Dank für alles Gute, das Sie mir erwiesen haben. Ich hätte es gerne wieder gutgemacht. Es ist mir nicht vergönnt. So scheiden ich und Kurt von Ihnen in ewiger Erinnerung. Wir sehen uns alle auf einem besseren Stern wieder. Hoffentlich sind nicht so viele elende Menschen da. Auf Wiedersehen!«
     
    Während Kurt und Waldemar auf den Ansturm der Uniformierten warten, geschieht am Waldrand etwas Erstaunliches: Die Soldaten brechen ihre Geschützstände ab, die Polizisten heben ihre Nagelbretter von der Straße auf, die Grenzwächter nehmen ihre Hunde an die kurze Leine, und dann steigen sie alle in ihre Autos, Motorräder und Lastwagen und fahren weg. Fort. Die Blockade ist aufgehoben. Die Einsatzleitung ist zu dem Schluss gekommen, dass den Bankräubern im Schutz der Nacht die Flucht durch den Polizeikordon gelungen sein muss.

19
    Stunde um Stunde dreht der Doppeldecker seine Runden über dem Basler Hinterland; verbissen hält der Pilot Ausschau, begeht hin und wieder sogar kleine Grenzverletzungen hinüber nach Frankreich oder Deutschland. Immer weiter zieht er seine Kreise, aber von Sandweg und Velte ist nichts zu sehen.
     
    *
     
    Unten auf der Erde saßen Marie Stifter und Ernst Walder auf der Sitzbank vor der Post und folgten mit aufmerksamen Blicken dem Flugzeug. Für Marie war das Flugzeug der Feind, denn es verfolgte ihren Freund. Für Ernst war es der Freund, denn es verfolgte seinen Feind. Aber das hätten sie voreinander nie zugegeben.
    Nach dem Verlobungskuss vor zwei Wochen hatte Ernst seine rituellen Mittagsbesuche wiederaufgenommen. Jetzt saß nicht mehr die Postmeisterin auf der Gartenbank neben Appenzellerhund Hasso, sondern Marie. Wenn Ernst sich ihr näherte, winkte sie ihm entgegen und lächelte pflichtgemäß; er winkte im Näherkommen zurück und bemühte sich um eine freundliche Miene. Wie stets kam ihre Unterhaltung nur schleppend voran, und immer wieder saßen sie minutenlang schweigend nebeneinander.
    »Jetzt musst du dann gehen«, sagte sie. »Zeit fürs Fußballtraining.«
    Ernst schüttelte den Kopf. »Training fällt aus.«
    »Aha.«
    »Bis auf weiteres.«
    »Schade.«
    »Ich kann später noch lang trainieren.«
    »Ja.«
    »Vor der Messe habe ich mit einem der beiden Polizisten gesprochen, die die Dorfstraße bewachen. Die haben keine Ahnung, wie’s weitergehen soll. Wissen nicht mehr ein noch aus.«
    »Ah ja?«
    »Hinweise bekommen die von überall her, nur sind alle falsch. Dreißig Kilometer südlich von hier sollen die Räuber aufgetaucht sein, aber auch zehn Kilometer nördlich und sogar drüben in Frankreich.«
    Marie schwieg, aber in ihren Augenwinkeln bildeten sich fröhliche Fältchen, und die Unterlippe schob sich spöttisch vor. Ernst sah das und ärgerte sich. Für seine Verlobte war es offenbar eine gute Nachricht, dass zwei Mörder die Polizei narrten. Das Flugzeug kreiste weiter am Himmel.
    »Dann gibt es auch Leute, die die Polizei absichtlich auf eine falsche Fährte locken. Stell dir das vor. Gestern Abend wurden in Laufen zwei Studenten festgenommen. Die sind eigens aus Bern angereist, um in Gasthöfen verstohlen hochdeutsch zu reden und sich gehetzt umzusehen.«
    »So was.«
    »Ja. Und zwei Einheimische haben einem Fabrikarbeiter die Geldbörse abgenommen. Zwei Achtzehnjährige. Haben ›Geld oder Blut!‹ gerufen in schlecht imitiertem Hochdeutsch.«
    »Nein.«
    »Doch. Dann haben sie die Geldbörse aufgemacht und gelacht, weil so wenig drin war. Und dann haben sie dem Arbeiter die Börse vor die Füße geworfen und sind in die Nacht verschwunden.«
    »Und deswegen fällt dein Fußballtraining aus?«
    »Wie?«
    »Wegen der Buben?«
    »Nein, nicht wegen denen.« Ernst biss die Zähne zusammen, und dann knackten ihm zum ersten Mal im Leben die Kiefergelenke. »Weil die Polizei vom Aufenthalt im Freien abrät.«
    »Na dann …«
    »Es ist gefährlich. Gestern ist ein Zivilist irrtümlich erschossen worden. Der Zellweger Franz aus Laufen.«
    Auf diese Nachricht hätte Großmutter natürlicherweise antworten müssen mit einem Ausruf, einem Wort oder auch nur einem Geräusch. Stattdessen schwieg sie ein beredtes Frauenschweigen, das drei oder vier Sekunden dauerte. Dann sagte sie mit der unschuldigsten Stimme: »Das heißt also – du gehst gar nicht mehr aus dem Haus, bis die Gefahr vorbei

Weitere Kostenlose Bücher