Fast genial
wäre ein harter, schneller Rap-Song.“
Sie schüttelte den Kopf. „Das hättest du wohl gern.
Nein, du wärst eher eine kitschige Ballade... von Elton John.“ Sie zwinkerte
ihm zu. Dann fing sie an auf dem Flügel zu spielen und sang dabei - die Kippe noch
immer im Mund - alberne Strophen über sein Leben, seine Mutter und den Trailer,
bis er lachen musste.
Während sie spielte, stand Francis einfach nur da
und beobachtete sie. Es kam ihm plötzlich so vor, als gäbe es in diesem
Krankenhaus zwei verschiedene Welten. Zimmer 039, in dem seine Mom lag, war
sein altes Leben, seine Probleme, seine Aussichtslosigkeit. Zimmer 035, in dem
Anne-May wohnte, war dagegen sein neues Leben. Das war seltsam, denn es war ja
dieselbe Station. Aber immer, wenn er durch ihre Tür ging, spürte er wieder die
gleiche Freiheit wie als Kind in Jersey City, als die Welt noch offen und weit
schien.
Schließlich kam der Tag, an dem seine Mutter wieder
einigermaßen normal war. Das ging jedes Mal überraschend plötzlich, als wäre
sie heimlich ausgetauscht worden. Die Medikamente wirkten nun, und es war, als
wäre ihr Verstand zurück von einer langen Reise in ein fernes Land.
Seine Mom saß auf einem Stuhl am Fenster. Sie hatte
geduscht, ihr Haar war frisch gekämmt, und sie sah gepflegt aus. Daran merkte
man immer, dass es ihr besserging. Wenn sie krank war, schien es ihr egal zu
sein, wie sie herumlief. So wie Grover, nur dass der sich eben nie darum
scherte. Francis hatte ihr zwei Pullover, Unterwäsche und einen Strauß gelber
Tulpen mitgebracht und umarmte sie zur Begrüßung. Und schon weinte sie. Er
mochte es nicht, wenn sie das tat, er fühlte sich dann immer schuldig. Er
fühlte sich sowieso immer schuldig, wenn eine Frau weinte; selbst wenn eine
Fremde auf der Straße in Tränen ausgebrochen wäre, wäre er sich schuldig
vorgekommen.
Sie ließ ihn lange nicht los, er spürte ihren Kopf
an seiner Schulter und roch ihr süßliches Parfüm. Dann setzte er sich zu seiner
Mutter ans Fenster. Als sie über die letzten Wochen und ihren Zusammenbruch redeten,
wandte sie ihr Gesicht vor Scham ab. „Es tut mir alles so leid. Das war das
letzte Mal!“
Er glaubte ihr zwar nicht, aber er nickte. Um ihre
manischen Phasen und Zusammenbrüche besser zu überstehen, machte er aus seiner
Mutter in dieser Zeit immer eine irre Karikatur; der Moment, in dem er es
wieder mit einem normalen, klar denkenden Menschen zu tun hatte, war für ihn
jedes Mal schwierig. Ihm fiel auf, dass ihre Hände zitterten, vermutlich eine
Nebenwirkung der Medikamente.
Seine Mom fragte, wie es ihm in den letzten Wochen
ergangen sei. Als er meinte, dass alles in Ordnung sei und er den Trailer
aufgeräumt habe, seufzte sie und tat so, als könne sie es nicht glauben. „Du hast
aufgeräumt? Warum machst du das nie, wenn ich dich darum bitte?“
Er musste grinsen. Sie strich ihm übers Gesicht und
sah ihm in die Augen. Es war ihr typischer Blick; nachsichtig, ein bisschen
melancholisch, liebevoll. Auf diese Weise hatte sie ihn oft angesehen; wenn er
als kleines Kind gespielt hatte und danach zu ihr gerannt war. Wenn er ihr von
den Mädchen aus seiner Klasse erzählt hatte, die er mochte (dafür hatte sie
sich immer besonders interessiert). Oder wenn sie abends noch mal in sein
Zimmer gekommen war und sich zu ihm ans Bett gesetzt hatte.
Seine Mutter bemerkte, dass sie wieder zu zittern begann,
und verbarg die Hände im Schoß. „Ich... ich weiß momentan einfach nicht, wie es
jetzt weitergehen soll“, sagte sie. „Aber ich finde schon was.“ Sie versuchte
zu lächeln, doch es war, als ob ihr Lächeln auf halber Strecke steckenblieb.
Abends musste Francis zu seiner Schicht im >Asia
Tiger<, wo er als Küchenhilfe arbeitete. Es war das einzige asiatische
Restaurant der Stadt. „Hallo, Zu-spät-Kommer!“, begrüßte ihn Mrs. Donaghy, die
den Laden schmiss und wie die meisten Mitarbeiter aus der Gegend kam. Sie
drückte ihm einen Wischmopp in die Hand, also putzte Francis als Erstes den
Boden, dann wusch er Teller ab und schnitt Fleisch und Gemüse klein. Als er
eine Gurke in Stücke hackte, stand Mrs. Donaghy auf einmal neben ihm und beobachtete
ihn. „Du hast flinke, gute Hände“, sagte sie. „Mach was draus, Hübscher!“
Francis freute sich noch immer über das Kompliment,
als er gegen Mitternacht nach Hause kam und einen kleinen, schwarzen Körper
auf dem Gehweg liegen sah. Seine Katze lag in einer Blutlache, ihre gelben
Augen starrten ins Nichts.
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