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Fast genial

Fast genial

Titel: Fast genial Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedict Wells
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nur, wenn du dich benimmst.“
    Sie kuschelte sich an ihn. Francis sah, dass sie die
Augen geschlossen hatte. Eine Weile lagen sie so nebeneinander. Als er sich
über sie beugte, öffnete sie ihre Augen.
    „Ich hab Angst“, sagte sie. So leise, dass er schon
wenige Sekunden danach glaubte, er habe es sich nur eingebildet.
    Francis suchte nach etwas Besonderem, das er ihr im
Gegenzug anvertrauen konnte. Dass er Filme so liebte, weil die Schauspieler
immer im richtigen Moment das Richtige sagten oder genau ausdrücken konnten,
was sie fühlten, während er selbst das nie konnte. Dass er nach der Trennung
von seiner Mom und Ryan eine Kröte mit einem großen Stein getötet hatte und
dass es ihm noch heute leidtat, wie sie unter seinen Schlägen immer langsamer
geworden war und noch in ihrem Todeskampf hatte wegspringen wollen und wie er
erbarmungslos immer wieder mit dem Stein auf sie eingeschlagen hatte, bis sie
regungslos liegen blieb. Oder dass er vor ein paar Jahren noch anders gewesen
war, viel mutiger und selbstsicherer, so dass alle gedacht hatten, dass er es
mal zu etwas bringen würde. Und wie das auf einmal verschwunden war und er
einen nach dem anderen hatte enttäuschen müssen. All das wollte er Anne-May
sagen.
    Francis begann, ihren Arm zu streicheln. Immer wieder
strich sein Finger auf ihrer Haut auf und ab. Er wartete gespannt. Sie musste
doch darauf reagieren! Doch sie rührte sich nicht. Als er sie schließlich auf
den Mund küssen wollte, murmelte sie: „Mach's nicht kaputt!“
    Dann drehte sie sich einfach auf die andere Seite,
und wenige Minuten später war sie eingeschlafen.
     
    2
     
    Ohne größere Pausen durchquerten sie Indiana, es
regnete ununterbrochen. Francis fragte sich, was sich Anne-May und Grover von
dieser Reise eigentlich erhofften, wieso sie mitgekommen waren. Er selbst
wusste es immer weniger. Bis vor kurzem war seine Zukunft noch wie ein vorgedrucktes
Blatt gewesen, auf dem fett und schwarz „Versager“, „Schulabbrecher“ und „Schichtarbeiter“
gestanden hatte. Doch nun hatte jemand mit Farbe die Worte „Genie“, „künstliche
Befruchtung“ und „Westküste“ darübergeschrieben, und er war nicht sicher, was
er davon halten sollte. Er wollte nur, dass sein Vater ihn gern hatte. Dass sie
sich kennenlernten und auf Anhieb sympathisch fanden. Gleichzeitig hatte Francis
panische Angst vor einer Zurückweisung.
    Erlebnisse, die er verdrängt hatte, kamen auf der
Fahrt hoch. Ihm fiel ein, wie er als Kind abends gebadet und danach mit seiner
Mutter Filme geschaut hatte, darunter viele mit ihrem Lieblingsschauspieler
Paul Newman. Oder wie sie damals beim Kochen immer Oldies aus den Sechzigern
gehört hatte. Er hatte ihr Gesellschaft geleistet und beim Schneiden der
Tomaten und Zucchini geholfen. Seine Mom hatte Öl in die Pfanne gegossen und
ihm erzählt, wie sie das erste Mal verliebt gewesen war oder wie sie als
Teenager ohne Geld nach Los Angeles kam und sich durchschlagen musste. Manchmal
hatten sie auch beide zur Musik getanzt und danach gelacht, weil sie sich
albern vorgekommen waren. Er hatte in der Küche immer das Gefühl gehabt, dass
seine Mutter ihn liebhatte. Nicht, weil er ihr Sohn war, sondern, weil sie ihn
einfach mochte.
    Das Auto bremste scharf, Grover entschuldigte sich.
    Francis blinzelte, er war kurz davor gewesen
einzuschlafen. Er sah auf den Verkehr und dachte an den Morgen, als seine
Mutter zum ersten Mal apathisch und mit grauem Gesicht im Bett lag. Scheinbar
ohne besonderen Grund, als müsse es eben früher oder später einmal damit
losgehen. Anfangs war sie nur depressiv gewesen, doch in den letzten Jahren hatte
es auch diese manischen Phasen gegeben, in denen sie geglaubt hatte, alles
schaffen zu können. Sie hatte nur noch gute Laune gehabt und von ihren
Zukunftsplänen geredet, nicht mehr geschlafen und sich bei einem Fitnessstudio
oder Tanz- und Theaterkursen angemeldet, obwohl kein Geld da gewesen war. Alles
hatte dann immer in einem Zusammenbruch geendet. Einmal hatte sie in ihrem Wahn
sogar Passanten auf der Straße angepöbelt und war von der Polizei aufgegriffen
worden. Francis erinnerte sich an den Tag, als sie in den Trailer gezogen
waren. Er war auf seiner Matratze gesessen, durchs Fenster schien die milde
Nachmittagssonne, im Lichtstrahl tanzte der Staub. Er hatte einen Tennisball
gefunden und ihn gegen die Wand geworfen. Währenddessen hörte er, wie seine
Mutter nebenan wirres Zeugs redete. Sie hatte schon länger ihre

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