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Fast genial

Fast genial

Titel: Fast genial Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedict Wells
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anderen
auslachen würden, aber sie nickten nur. Bis zum Morgen redeten sie kein Wort
mehr, dennoch fühlten sie sich einander nahe.
     
    3
     
    Keiner sagte es laut, aber nach dieser Nacht hatte
jeder Angst, dass sie der Fahrt nicht gewachsen waren und alles außer Kontrolle
geriet. Grover trank drei Becher Kaffee und setzte sich kreidebleich hinters
Steuer. Anne-May saß neben Francis auf dem Rücksitz und befühlte ihre Lippe.
Francis selbst nahm seinen Kapuzenpullover als Kopfkissen und versuchte zu
schlafen. Bei den wenigen Malen, die es ihm gelang, sah er Anne-May mit
blutigem Mund vor sich stehen und lachen oder seine tote Katze in der
Plastiktüte. Ein anderes Mal träumte er, wie er mit vierzig noch immer im
Trailer lebte. Er hatte ein paar schlechtbezahlte Nebenjobs, seine Mutter war
längst tot, seine Freunde hatten ihn verlassen. Nichts war geblieben, ein Leben
ohne jeden Sinn.
    Es nieselte. Sie fuhren an St. Louis vorbei, und
Francis musste an Die Abenteuer des
Huckleberry Finn denken, eines der wenigen
Bücher, die er fertiggelesen hatte. Die Geschichte spielte ja in der Gegend,
und als Kind hatte er sich oft vorgestellt, wie Huck und Jim auf dem Floß den
Mississippi runterzufahren, in die Freiheit. Dieses Gefühl, dass da draußen
noch etwas war, das auf ihn wartete, hatte er schon als kleiner Junge gehabt.
    Und nun war er endlich dahin unterwegs.
    Es donnerte laut, bald darauf trommelte Regen aufs
Dach und klatschte gegen die Fenster. Draußen war es stockfinster, doch wenn es
blitzte, erhellte sich die Landschaft, und sie konnten für ein paar Sekunden
meilenweit in die Ferne sehen.
    Anne-May schien sich etwas unwohl zu fühlen und
rutschte näher. „Als ich klein war“, sagte sie, „hab ich, wenn es geregnet hat
und die Tropfen die Scheiben entlangflossen, immer gedacht, dass das Auto
traurig ist und weint... Bescheuert, oder?“
    Sie lächelte Francis an, und er sah die obere Reihe
ihrer Zähne. Er hätte ihr gern gesagt, was er für sie empfand, aber das kam ihm
lächerlich vor. Außerdem meinte sein Nachbar Toby, dass man Frauen so was
niemals sagen dürfe. Frauen wollten nichts anderes, als die Geheimnisse eines Mannes
aufzudecken, und wenn sie alles von ihm wüssten, wäre er uninteressant für sie,
und sie würden ihn verlassen. Francis hatte keine Ahnung, woher Toby seine
Weisheiten nahm, er war ein Dealer ohne Schulabschluss, aber gleichzeitig war
er auch der klügste Mensch, den er kannte.
    Weizen- und Maisfelder, wohin man sah. Da Anne-May
nicht schon wieder in einem Motel am Highway übernachten wollte, verließen sie
die Interstate. Sie überholten eine Horde Biker, überquerten die Brücke, die
über den Missouri River führte, und landeten in Barberton, einem Dorf mit ein
paar altmodischen Geschäften, Scheunen und Kirchen. Sie parkten den Chevy in
der Nähe des Flusses und ließen sich auf einem Hügel ins Gras fallen. Grover
machte Fotos, Anne-May bohrte sich die Faust ins Auge, und Francis
beobachtete, wie parallel zum Fluss ein Zug der Union Pacific die Schienen
entlangbretterte. Nach dem Unwetter war die Luft angenehm frisch, und sie
schien anders zu riechen als bei ihm zu Hause. Francis rauchte eine Chesterfield.
Es war friedlich hier draußen, kein Straßenlärm, keine Leuchtreklamen, keine
Trailer, nur ein paar spielende Kinder. Das gefiel ihm.
    Ziemlich lange saßen sie schweigend am Fluss und beobachteten
die Züge, die unten vorbeifuhren. Die Sonne stand tief am Himmel und ließ die
Gegend vor Licht und Farben überschäumen, und auf einmal packte Francis eine
unbekannte Sehnsucht. Seine Hand griff ins Gras und riss ein paar Halme aus. Er
hatte es so unendlich satt, sich nichts mehr vom Leben zu erwarten. Er wollte frei
sein, er wollte anders sein, und ihm wurde bewusst, dass er auf dieser Reise
die Gelegenheit hatte, die Dinge zu ändern.
     
    Die einzige Kneipe des Ortes war versifft, aber
immerhin gab es eine Liveband, die Klassiker von den Beatles spielte. Francis
betrachtete die Bandmitglieder. Sie waren alle schon Ende vierzig,
wahrscheinlich Jugendfreunde, die nie rausgekommen waren und sich
vorgaukelten, sie würden Rock 'n' Roll leben. Welche Musik dieser Donor James
wohl so hörte? Francis überlegte, wie sein Vater aussah, wie er war, wie er in
Wirklichkeit hieß. Was wollte er eigentlich machen, wenn er ihn traf?
    Am Nebentisch saßen ein paar Männer, die ständig zu
ihnen rübersahen. Schließlich kam einer zu ihnen an den Tisch. Er trug ein
kariertes Hemd,

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